Schiffbruch und Glücksfall
bauschte sich in der Brise, ihre langen braunen Haare flatterten im Wind. Selbstvergessen spielte sie auf ihrem Instrument, komplizierte Läufe, sich wiederholend, sich wandelnd, luftig, leicht, doch voller Weh und Hoffnung.
Kelda traute sich kaum aufzutreten, so leise wie möglich näherte sie sich, um das feenhafte Geschöpf nicht zu stören. Doch sie schien zu versunken in ihre Kunst, bemerkte sie nicht. Langsam ging sie an der Flötenspielerin vorbei auf die Mole, setzte sich dort nieder und ließ die Beine baumeln und gab sich dem Zauber des Augenblicks hin.
Der Zauber wurde auch nicht unterbrochen, als sich ihr ein Arm um die Schultern legte und sie an einen warmen Körper gezogen wurde.
»Simon?«, flüsterte sie.
Der Arm fiel herunter.
»Du hast einen neuen Freund?«
Erschrocken fuhr Kelda herum. »Matt. Du schon wieder!«
»Ja, ich. Hallo, Kelda.«
Sie kam etwas mühsam auf die Füße und wollte an ihm vorbei. Doch auf der schmalen Mole verstellte er ihr den Weg. Sie besann sich. Vorbeidrängen konnte sie sich nicht an ihm, und sein letzter, schon fast gewalttätiger Auftritt im Supermarkt war ihr noch in übler Erinnerung. Es war besser, Entgegenkommen zu zeigen, bevor sie Gefahr lief, ins Wasser gestoßen zu werden.
»Hallo, Matt. Wollen wir ein Stück am Hafen lang gehen?«
»Wir können uns auch hier hinsetzen. Ich muss mit dir reden, Kelda.«
»Ich sitze schon lange genug hier, mir sind die Beine eingeschlafen. Lass uns bitte gehen.«
Endlich gab er den Weg frei. An der Hafenmauer lehnte sein Fahrrad. Woher wusste er, verdammt noch mal, immer, wo er sie alleine antreffen konnte?
Die Flötenspielerin war verschwunden, und Kelda schlug den Weg zur Straße ein, die zum
Marée bleue
führte. Der Weg war wesentlich kürzer als der Zöllnerpfad, der sich an der Küste entlangschlängelte. Sie hoffte, Matt spätestens an der Crêperie loszuwerden.
Er hob sein Rad auf und schob es neben ihr her.
»Kelda, ich … ich entschuldige mich, ja? Ich habe mich blöd benommen, weißt du.«
»Stimmt. Aber gut, vergessen wir das.«
»Ja, wirklich. Du, wir haben jetzt das Womo auf dem Campingplatz am Leuchtturm abgestellt. Willst du dir das nicht mal ansehen?«
»Nein, Matt.«
»Kelda!« Seine Stimme klang zutiefst unglücklich.
»Nein, Matt. Du musst es endlich einsehen – es ist vorbei.«
»Aber warum denn nur? Nur wegen dieser dummen Sache mit dem Segelboot? Mann, Kelda, früher hast du so was einfach sportlich genommen.«
»Es ist nicht nur das Kentern, Matt. Das war lediglich der letzte Auslöser. Schau, ich habe es dir schon mehrmals erklärt – ich komme mit deiner Art zu leben nicht mehr klar. Ich möchte ein anderes Leben führen.«
»Du möchtest – aber was ich möchte, das interessiert dich nicht.«
»Matt, was möchtest du denn?«
»Ich möchte dich zurück, Kelda. Du fehlst mir. Du fehlst mir jede Nacht.«
Er hatte ein Schluchzen in der Stimme, und Kelda fühlte sich elend. Sie schwieg.
»Kelda, wenn ich dir verspreche, mich nach den Ferien nur noch meinem Studium zu widmen. Ich mache noch nächstes Jahr meinen Abschluss, echt.«
Er hatte es schon so oft versprochen.
»Ich jobbe auch zwischendurch und zahle meinen Anteil an der Miete.«
Die Straße machte eine Kehre, und der Leuchtturm schimmerte weiß im Sonnenlicht.
Kelda schwieg.
Matt legte das Fahrrad an den Straßenrand und nahm sie bei den Schultern.
»Kelda, ich liebe dich doch.«
»Matt, ich liebe dich nicht mehr. Verstehst du denn nicht – manches kann man nicht zurückholen.«
»Aber warum nicht? Ich brauche dich doch.«
»Eben. Du brauchst mich, darum willst du unbedingt, dass ich bei dir bleibe. Aber was ist mit den Mädchen, die jetzt dein einsames Bett wärmen?«
»Ach die. Komm, sei nicht eifersüchtig. Die bedeuten doch nichts.«
»Dir vielleicht nicht, aber für mich, Matt, sind sie nur ein Zeichen mehr, dass deine Art zu leben nicht der meinen entspricht. Und nun lass mich los.«
Das aber tat er nicht, sondern zog sie mit festem Griff an sich, um sie stürmisch zu küssen. Sie wehrte sich, und das Ganze artete zu einem unwürdigen Gerangel am Straßenrand aus.
Ein Wagen hielt, kurzfristig lockerte Matt seinen Griff, und Kelda gelang es, sich zu befreien.
Offroader, staubig.
Simon stieg aus.
»Probleme, Kelda?«
»Uh, ja, ein paar.«
»Ist der das?«, giftete Matt plötzlich. Und mit geballten Fäusten ging er auf Simon los. Kelda keuchte erschrocken auf, als er zuschlug. Doch Simon wich
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