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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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so betrachte. Liegt es daran, dass ich einen Stein auf den Men Marz geworfen habe, dass ich so begehrt bin?«
    »Haben Sie das? Und er ist liegen geblieben?«
    »Ja, ist er. Aber Xavier hat mir gesagt, ich würde
einem
Mann begegnen, nicht vieren.«
    »Dann wird er wohl recht haben.«
    Kelda flirtete noch ein bisschen mit den Veteranen, dann rief sie Marie-Claude zu, die mit der jungen Frau, die mittags in der Crêperie mithalf, in der Küche aufräumte, dass sie sich zu einem Spaziergang zum Hafen von Brignogan aufmachen wollte, um wenigstens ein bisschen von dem viel zu guten Essen der vergangenen Tage abzuarbeiten.
    Eine frische Brise ließ die Wolkenbäuschchen über den Himmel fliegen, die Gischt wehte ihr dort, wo die Brandung gegen die Felsen donnerte, mit weißen Schaumflocken entgegen. Allerlei Seevögel trieben ihre Kapriolen in der Luft, als sie den Zöllnerpfad entlangwanderte.
    Ob Simon sich wohl noch mal melden würde? Seit drei Tagen hatte sie nichts mehr von ihm gehört.
    Der Traum ging ihr noch immer nicht aus dem Sinn. Gut, das unerwartete Wiedersehen, die Suche nach seinem Großvater, der dem Schiffbruch entronnen war, das alles waren natürlich wiedererkennbare Zutaten. Aber da war noch etwas mehr. Ein neues Gefühl. Noch war sie sich nicht ganz sicher, welcher Art es war.
    Vor Jahren, als er um sie herumgeschlichen war wie ein treuer Hund, hatte sie ihn so gut wie gar nicht wahrgenommen. Er war eben da, wenn sie jemanden brauchte,der mit ihr ins Kino ging oder der mitkam, wenn kein anderer da war, der sie zu einem Ausflug begleiten wollte. Ein praktischer Nachbar, der dankbar nach jedem Knochen schnappte, den sie ihm zuwarf.
    Er hatte sich verändert. Er war erwachsen geworden, natürlich. Oder nicht natürlich. Matt war nicht erwachsen geworden. Simon hingegen hatte wirklich an Format gewonnen und war jetzt irgendwie – interessant. Auf gar keinen Fall aber war er der sie stumm anhimmelnde Nachbar mehr. Kelda gestand sich ein, dass seine Zurückhaltung sie irgendwie reizte. Betraf sie nur sie, oder hatte er seit seiner offensichtlich missglückten Ehe den Frauen im Allgemeinen abgeschworen?
    Sie wanderte vorwärts, doch ihre Gedanken wanderten zurück. Erinnerungen an lange, tiefgründige Gespräche tauchten auf, Gespräche über Gott und die Welt, wie man sie nur in jenen jungen Jahren wirklich ernsthaft führen konnte. Simon, wenn er denn seine Schüchternheit ablegte, konnte gut zuhören und ebenso gut diskutieren und auch erzählen. An einen Besuch einer Burg erinnerte sie sich. Das alte Gemäuer hatte sie wenig interessiert, aber ihre Clique hatte unbedingt eine Ausstellung dort besichtigen wollen. Angeödet war sie mitgetrottet, aber irgendwann hatte Simon angefangen, ihr das alte Gemäuer zu erklären, hatte es mit Gestalten gefüllt, die darin gelebt, geliebt, gesoffen und gekämpft hatten.
    Eine lebhafte Fantasie hatte er entwickelt – Visionen vielleicht sogar, wie diese Burgruine einst ausgesehen, was sie für die Menschen bedeutet hatte. Und weil er die Geschichte in den Steinen las, war er vermutlich ein so guter Architekt geworden. Marie-Claudes Haus hatte er zu einem Schmuckstück umgebaut, und bestimmt würde die Villa, die er gerade renovierte, bald ein prächtiges, aber auch komfortables Heim werden.
    Eine verwehte, leise Flötenmelodie mischte sich zwischen das Rauschen der Wellen und das Möwengeschrei. Eine seltsame, sehnsüchtige Musik, nicht ganz irdisch, doch der wilden Küste mit ihren Felsen, dem Sand, dem harten Dünengras angemessen.
    Kelda blieb stehen und lauschte ihr entzückt, versuchte, herauszufinden, woher sie stammte. Doch der Wind ließ sie zerflattern wie die Wolken am Himmel. Langsam ging sie weiter, erreichte die kleine Landzunge mit dem einsamen Haus darauf. Hier endete der Küstenweg, das umzäunte Grundstück verhinderte, dass sie am Ufer weitergehen konnte. Sie nahm einen schmalen Pfad entlang den Feldern. Anis duftete, wenn sie mit der Hand über die grünen Dolden streifte, blutrot leuchteten Heckenrosen an der Feldsteinmauer, Brombeerranken hakelten nach ihren Hosenbeinen. Dann kam wieder das Meer in Sicht, die Bucht und die kleine Mole, die sich an dem Hafenbecken entlangzog, in dem einige Segelboote lagen. Und in das Klirren und Klingeln der Masten mischten sich wieder die Flötentöne. Diesmal war es leichter, ihren Ursprung zu erkennen. Eine junge Frau, schmal, fast ein Kind noch, saß auf einem rundgewaschenen Felsen. Ihr blaues weites Shirt

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