Schiffsdiebe
herab. Nita lag neben ihm, die schwarzen Haare nass im Gesicht. Blitze zuckten über den Himmel, blendend hell nach der Dunkelheit im Frachtraum. Der Regen wurde immer stärker. Etwa hundert Meter entfernt lag die Dauntless vor Anker, sturmumtost.
» Wir müssen da rüber«, sagte Nailer.
» Was? Kein Wassertaxi?«
Nailer musste unwillkürlich grinsen. » Ihr Bonzen wollt es immer hübsch bequem haben.«
» Yeah.« Nita wurde wieder ernst, als sie zur Dauntless hinüberstarrte. » Dann werden wir wohl schwimmen müssen.«
» Sieht so aus.«
Sie kniff die Augen zusammen. » Ich bin schon weiter geschwommen«, sagte sie schließlich. » Das schaffen wir.«
Sie riss sich die Schuhe von den Füßen, wartete, bis die nächste Welle anbrandete, und ließ sich von ihr davontragen. Nailer schickte ein Stoßgebet zu den Parzen und folgte ihr.
Das Meer drohte ihn sofort zu verschlingen. Jedes Mal, wenn er mit den Füßen strampelte, schien sein Knöchel zu explodieren. Er paddelte verzweifelt in die Richtung, wo er glaubte, dass oben war. Die Strömung versuchte ihn nach unten zu reißen. Er schlug wild um sich, durchstieß die Wasseroberfläche und schnappte keuchend nach Luft. Eine weitere Welle zerrte an ihm. Wieder wehrte er sich mit aller Kraft dagegen, von der Strömung nach unten gerissen zu werden. Tauchte auf, hustete und spuckte. Holte Luft. Strampelte und stieß einen Schmerzensschrei aus.
» Lass dich treiben!«, rief Nita. » Du darfst dich nicht wehren!« Sie ritt neben ihm auf den Wellen. Eine schäumte über sie hinweg, aber sie tauchte sofort wieder auf und schwamm zu ihm herüber. » Du darfst dich nicht wehren!«, rief sie und half ihm, sich über Wasser zu halten.
Überrascht erkannte er, dass sie lächelte, und dann paddelten sie auch schon vorwärts, und allmählich spürte er den Rhythmus der Wellen. Sie ließen die Zähne und die gefährlichen Strömungen hinter sich, und plötzlich wurde alles einfacher, das Wasser trug sie fast von selbst in die Richtung, in die sie wollten.
Dann tauchte die Dauntless vor ihnen auf. Rettungsringe wurden über die Reling geworfen und klatschten in die Gischt. Nailer fragte sich kurz, wer wohl an Bord das Sagen hatte, aber eigentlich war ihm das egal. Gemeinsam mit Nita schwamm er erleichtert auf die Rettungsringe zu.
25
» Das Töten hat stets seinen Preis.«
Pimas Mutter saß neben ihm, und sie blickten beide nachdenklich auf das Meer hinaus. Nailer hatte ihr erzählt, was auf der Pole Star geschehen war. Zu seiner eigenen Überraschung hatte er angefangen zu weinen, bis seine Tränen schließlich versiegt waren. Jetzt empfand er rein gar nichts mehr, nur ein Gefühl von Leere unterhalb der Rippen, das einfach nicht weggehen wollte.
» Er war ein wirklich schlechter Mensch«, sagte sie. » Ich sag das nicht oft über jemanden, aber Richard Lopez hat viel Leid angerichtet.«
» Yeah«, stimmte Nailer ihr zu. Aber es fühlte sich trotzdem nicht richtig an. Sein Vater war verrückt gewesen und brutal und, wenn er ehrlich war, regelrecht böse. Aber jetzt, nachdem er tot war, erinnerte sich Nailer auch an andere Zeiten, als Lopez nicht high gewesen war, als sie gemeinsam Witze gerissen und am Strand ein Schwein gegrillt hatten. Das waren gute Zeiten gewesen – damals hatte er vor seinem Vater auch noch keine Angst gehabt. Richard Lopez hatte oft gelächelt und Geschichten von fetter Beute erzählt.
» Er war nicht nur schlecht«, murmelte Nailer.
» Nein.« Sadna schüttelte den Kopf. » Aber gut war er auch nicht. Nicht in letzter Zeit. Schon lange nicht mehr.«
» Ja, ich weiß. Er hätte mich getötet, wenn ich ihm nicht zuvorgekommen wäre.«
» Aber das macht es auch nicht einfacher, habe ich recht?«
» Nein.«
Sie lachte traurig. » Das ist gut so.«
Nailer warf ihr einen verwirrten Blick zu.
» Richard hat nie etwas empfunden, wenn er Leuten wehgetan hat. Es war ihm völlig gleichgültig. Es ist gut, etwas zu empfinden. Glaub mir. Auch wenn es schmerzt, es ist gut.«
» Ich weiß nicht.« Nailer starrte aufs Meer hinaus. » Vielleicht irrst du dich ja auch. Ich …« Er zögerte. » Es hat sich gut angefühlt, ihn zu töten. Wirklich gut. Ich hab diese ganzen Hebel gesehen und wusste genau, was ich zu tun hatte. Und dann habe ich es getan.« Er sah zu Sadna hoch. » Sobald die Maschinen aufheulten, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Es war großartig, als hätte ich gerade eine Riesenbeute gefunden. So gut hab ich mich nicht mal
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