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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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bilden.«
    »Wie starb er, Sam?«
    »Sein LKW durchbrach das Geländer einer Brücke.«
    »Sam –«
    »Am Heiligen Abend. Auf dem Rückweg von New York, mit leerem LKW , nachdem er eine volle Fuhre Lobster auf dem Fulton Market abgeliefert hatte, geriet er in einen Eissturm und kam von der Jamestown Bridge ab.«
    Dana stellte sich die Brücke vor, die sich weit über die Westpassage der Narragansett Bay spannte – hoch und schmal, die eisernen, turmhohen Brückenpfeiler ein weithin sichtbares Wahrzeichen. Als Kind hatte sie Angst gehabt, die Jamestown Bridge zu überqueren, sie war ihr riesig und bedrohlich erschienen.
    »Es tut mir so Leid.« Sie hätte gerne Sams Hand genommen. Ihr Segelkurs hatte in Newport stattgefunden, im Hafen und in der Ostpassage der Narragansett Bay, nur wenige Meilen entfernt.
    »Ich war acht Jahre alt«, sagte Sam. »Alt genug, um mich zu wundern, warum außer mir niemand seinen Tod betrauerte. Ich lief in das Unwetter hinaus, über die Newport Bridge nach Conanicut Island, um zur Jamestown Bridge zu gelangen.«
    »Warum wolltest du dorthin?«
    »Aus dem gleichen Grund, wie Quinn das Boot ihres Vaters im Hunting Ground suchen möchte – um sich zu vergewissern, dass keine Absicht im Spiel war.«
    »Aber er hat sich nicht umgebracht, oder?« Dana ergriff seine Hand. Sie wollte ihn trösten und bestätigt hören, dass solche schrecklichen Dinge nicht wirklich passierten. Unfälle waren schon schlimm genug – wahre Tragödien. Aber dass ein Vater bewusst in den Tod ging und sein Kind zurückließ … Danas Hand zitterte, während sie darauf wartete, dass Sam sie ansah.
    »Nein, hat er nicht.«
    Dana durchrieselte ein Schauer der Erleichterung, aber sie drückte seine Hand fester.
    »Deshalb will ich Quinn helfen. Sie hat sich etwas in den Kopf gesetzt und wird nicht eher Ruhe geben, bis wir das Gegenteil bewiesen haben.«
    »War das bei dir der Fall?«
    Sam nickte. »Ich stand am Geländer der Jamestown Bridge, als sich die Taucher auf die Suche begaben, und rührte mich nicht von der Stelle, bis der Kran den LKW meines Vaters hochzog. Es war ein Unfall, daran konnte es keinen Zweifel mehr geben.«
    »Weil er keinen Abschiedsbrief hinterließ?«
    »Weil meine Weihnachtsgeschenke bei ihm gefunden wurden. Er hatte sie in New York besorgt. Die Verpackung war voller Wasser, völlig durchweicht, aber er hatte mir Spielzeuglaster und eine Modelleisenbahn gekauft. Ich bewahrte sie jahrelang auf.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen.« Das Leuchten in seinen Augen erinnerte sie an Quinn. Auch sie hatte sämtliche Geschenke ihrer Eltern aufbewahrt, wollte niemandem erlauben, auch nur auf den Plätzen ihrer Eltern zu sitzen.
    »Das Wissen, dass kein Vorsatz im Spiel gewesen war, half mir. Ich meine, dass er nicht Selbstmord begangen hatte.« Sam wandte Dana den Kopf zu und blickte ihr in die Augen.
    Sie nickte, hielt noch immer seine Hand.
    »Und genau das ist es, was wir für Quinn tun müssen, Dana, ihr diese Gewissheit verschaffen.«
    »Du hast Recht.«
    Als er aufstand, reichte er ihr die Muschelschale. Sie hielt sie in der Hand, als sei sie Lilys Boot, das es zu schützen galt. Sam zog Dana von der Teakholzbank hoch und nahm ihre Hände. Die scharfen Ränder der Schale schnitten in ihre Handfläche. »Bist du dazu bereit?«
    »Ja, das bin ich«, sagte sie.
    Und das war sie auch. Nachdem sie seine Geschichte gehört hatte, fürchtete sie nichts mehr. Was sich auch in der Angelkiste verbergen mochte, es hatte nichts mit Marks und Lilys Tod zu tun. Vielleicht befanden sich Familienfotos darin, die Entsprechung zu Sams Weihnachtsgeschenken. Sie holte eine Taschenlampe aus der Küche, und gemeinsam gingen sie zum Schuppen hinunter.
    Im Innern war es stockdunkel. Am Fuß des Hügels auf der Ostseite gelegen, fiel kein Licht von außen in den Schuppen. Dana schaltete die Taschenlampe ein und zog die Tür hinter sich zu. Sie blieben nahe beieinander, als sie sich durch den dunklen Raum vortasteten.
    »Ich komme mir wie ein Einbrecher vor«, flüsterte Dana.
    »Das Anwesen gehört deiner Familie. Und du tust es für Quinn.«
    »Danke, dass du mir die Geschichte erzählt hast. Das macht diese Sache hier leichter.«
    »Keine Ursache.« Dana stellte sich Quinn auf ihrem Felsen vor und den kleinen Sam auf der Jamestown Bridge. Dann beugten sie sich über die Angelkiste.
    Draußen auf der Cresthill Road näherten sich langsam Scheinwerfer, und Dana löschte die Taschenlampe. Sams Augen blitzten, als

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