Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
fragte er, nachdem sie sämtliche Muscheln vertilgt hatten.
    »Fast. Aber noch nicht ganz.«
    »Möchtest du segeln gehen? Der Mond geht bald auf.«
    Dana lächelte.
    »Wir könnten aufs Meer hinausfahren, über das tiefblaue Purpur mit einer Spur Dunkelblau und Blattgold-Rändern.« Sams Vorschlag klang verführerisch. Er nahm eine der leeren Muschelschalen und segelte damit von seiner Hand in ihre.
    Dana betrachtete die perlmuttfarbene Innenseite, dann hob sie den Blick. »Bitte sag mir, was du neulich Abend gemeint hat – als du sagtest, ich solle sie auf ihrem Felsen Wache halten lassen.«
    »Nur das – du solltest es ihr erlauben.«
    »Warum? Wozu soll das gut sein – sie zu ermutigen, nach Gott weiß was Ausschau zu halten und auf die Rückkehr von Menschen zu hoffen, die nie mehr nach Hause kommen? Was weißt du schon davon?«
    »Eine Menge, Dana.«
    »Dann sag es mir, Sam. Weil ich nämlich das Gefühl habe, dauernd im Dunkeln zu tappen.«
    »Mein Vater starb, als ich acht war. In dem Winter, bevor ich in deinen Segelkurs kam.«
    Dana ließ das kleine Muschelschalenboot über ihr Knie gleiten. Sich vorzustellen, wie jung Sam damals gewesen war, wie jung er heute noch war, bereitete ihr Unbehagen. Manchmal war er für sie ein Freund und Partner, doch es gab auch Zeiten, wo Gefühle in ihr lebendig wurden, die sie an Jonathan erinnerten und die sie tunlichst vergessen wollte.
    »Ich weiß. Deine Mutter erzählte es mir, als sie die Einverständniserklärung unterschrieb.«
    »Aber sie war alles andere als die trauernde Witwe. Ich glaube nicht, dass sie ihm auch nur eine Träne nachgeweint hat. Die Ehe wurde ziemlich überstürzt geschlossen, sie kannte ihn nicht besonders gut. Ihr erster Mann war verstorben, und sie musste ein Kind großziehen, meinen Bruder Joe. Mein Vater war LKW -Fahrer, lieferte den Hummer für die Fanggenossenschaft aus; als er sie bat, seine Frau zu werden, dachte sie vermutlich, sie würde glücklich mit ihm werden.«
    »Aber dem war nicht so?«
    Sam schüttelte den Kopf. »Es gab da einen anderen – einen Maler, der ihr zuerst den Kopf verdreht und sie dann sitzen lassen hatte. Du kennst ihn vermutlich – Hugh Renwick.«
    »Natürlich kenne ich ihn – vom Firefly Beach«, erwiderte Dana überrascht. Seine Familie war zur Eröffnung ihrer Ausstellung erschienen. Seine Frau hieß Augusta, und es klang, als sei Sams Mutter zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls verheiratet gewesen.
    »Das ist eine lange, traurige Geschichte.« Sam nahm die Muschelschale entgegen, als sie in seine Hand zurücksegelte. »Aber sie endete damit, dass sie meinen Dad heiratete, Liam Trevor. Joe pflegte ihre Ehe den Dritten Weltkrieg zu nennen.«
    »Das tut mir Leid, Sam.«
    Er sah auf den Sund hinaus. Groß und schlank, saß er lässig an seinem Ende der Teakholzbank. Das blaue Hemd war am Hals offen, seine Haut war glatt und gebräunt. Der Blick seiner Augen hinter den goldgefassten Brillengläsern ließ ihn wachsam und älter aussehen. Dennoch war die Ähnlichkeit mit dem achtjährigen Jungen, der an ihrem Segelkurs teilnahm, um den Tod seines Vaters im vorherigen Winter zu vergessen, unverkennbar, und die Erinnerung ging Dana zu Herzen.
    »Er hat Joe und meine Mutter oft fertig gemacht«, sagte Sam ruhig. »Er explodierte bei jeder Kleinigkeit, aber mich hat er nie angebrüllt.«
    Dana hörte die Wellen am Ufer plätschern, während sie darauf wartete, dass er fortfuhr.
    »Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen. Warum ließ er seine Wut an ihnen aus und nicht an mir? Manchmal lauschte ich wie Quinn und versuchte, etwas zu verstehen. Ich hörte, was mit Joes Vater passiert war und was sich mit Hugh Renwick zugetragen hatte. Ich bekam mit, wie Joe seine Mutter verteidigte, wie mein Vater mit der Faust auf den Tisch hämmerte, mit allem um sich warf, was nicht niet- und nagelfest war. Wenn er sich abreagiert hatte, begab er sich auf die Suche nach mir.«
    »Joe?«
    »Nein, mein Vater.«
    »Was passierte dann?«
    »Er erzählte mir Geschichten«, sagte Sam, »und sang mir etwas vor. Er war mein Dad, und ich war sein Sohn. Er war ein guter Vater – von seinen Tobsuchtsanfällen einmal abgesehen.«
    »Was waren das für Geschichten, die er dir erzählte?«
    »Über die Hummer, die er auslieferte. Über die Orte, die er unterwegs sah, über seine Kindheit, die er in Irland verbrachte – ein Land mit Felsenbuchten und riesigen Tümpeln, die sich nach dem Zurückweichen der Flut am Strand

Weitere Kostenlose Bücher