Schilf im Sommerwind
hatte einen Tisch im Restaurant Luna Mer bestellt: Mond über dem Meer.
Zuvor stattete Dana jedoch der DeGraff-Galerie einen Besuch ab. An der Ecke West Broadway und Spring Street gelegen, füllten zwei von Danas Unterwasser-Landschaften die großen Fenster. Ihr Name war auf den klassischen weißen Schildchen zu lesen: DANA UNDERHILL , NEUE WERKE .
Als Dana die Tür öffnete, rief die junge Assistentin Vickie aus dem hinteren Teil der Galerie herbei. Vickie eilte durch das Interieur – niemand in SoHo wäre auf die Idee gekommen, die weitläufigen Hallen als ›Raum‹ zu bezeichnen – in ihrem fließenden, goldenen, tibetischen Gewand, das schwarze Haar kurz geschnitten und eng am Kopf anliegend wie eine Badekappe; sie küsste Dana zur Begrüßung drei Mal auf die Wange, nach belgischer Art, um sie dann, typisch amerikanisch, stürmisch zu umarmen.
»Darling, Darling, Darling. Habe ich dich vermisst!«
»Ich dich auch.«
»Endlich bist du da. Höchstpersönlich, und auf Leinwand. Wie findest du die Präsentation?«
»Als neues Werk kann man die Bilder kaum bezeichnen«, sagte Dana, sich umschauend. »Ich habe sie schon vor fünf Jahren gemalt.«
»Ich weiß. Gott sei Dank hatte ich sie noch auf Lager. Man muss für den Notfall gerüstet sein, schließlich lässt sich eine schöpferische Blockade nicht voraussehen!« Sie erschauerte, als sie das Wort ›Blockade‹ aussprach.
Dana hätte ihr um ein Haar erzählt, die Blockade sei vorüber, aber sie wollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Mit der Kunst hatte es eine seltsame Bewandtnis – sie war eine unermessliche Gabe und keineswegs selbstverständlich, wie sie aus leidvoller Erfahrung wusste.
Vickie ergriff ihren Arm und machte mit Dana einen Rundgang durch die Galerie. Dana sah ihre alten Bilder wieder, begrüßte sie wie alte Freunde: eine Szene auf Korsika, eine andere aus Positano, zwei Gemälde, die auf der Isle of Wight entstanden waren, der Rest in Honfleur.
»Underhill unter Wasser«, sagte Vickie. »Ich sehe jetzt, da bist du in deinem Element.«
Dana nickte. Sie fragte sich, wie es ihr gelungen sein mochte, jeder Unterwasserlandschaft eine ganz eigene Note zu verleihen. Natürlich waren Meeresfauna und -flora unterschiedlich, aber es war die jeweilige Schattierung des Wassers, an der sich ein Ort erkennen ließ.
Tiefblauer Purpur und dunkelblau …
sie dachte an die Farben, die Sam ihr geschenkt hatte, dann blickte sie auf ihre Armbanduhr und rief sich jenen Abend ins Gedächtnis zurück.
Vickie hatte eines ihrer alten Bilder an einer exponierten Stelle aufgehängt. Es war vor langer Zeit auf Martha’s Vineyard entstanden. Dana erkannte die Muscheln, die Goldmakrelen, die abgefeuerte Granate vom ehemaligen Truppenübungsplatz im Niemandsland – auf der unbesiedelten Insel östlich von Gay Head –, die herrlich laszive nackte Meerjungfrau, eine der wenigen für jedermann sichtbaren, die sie gemalt hatte.
»Wo hast du denn das aufgetrieben? Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es hier hing«, staunte Dana.
»Einer deiner ersten Sammler starb. Seine Frau veräußerte auf einen Schlag seine ganze Kunstsammlung, und ich musste mich bis über beide Ohren verschulden, um dich zurückzukaufen. Du bist ein hochkarätiger Aktivposten, meine Liebe. Aber das Bild war es wert – eine Underhill aus der frühen Periode. Der Tod hat, Gott sei Dank, auch seine guten Seiten – er belebt das Geschäft.«
Dana hätte fast der Schlag getroffen.
Als wäre ihr erst jetzt bewusst geworden, wie taktlos ihre Bemerkung und dass die Ursache von Danas künstlerischer Blockade Lilys Tod gewesen war, ergriff Vickie Danas Arm. »Dana, es tut mir Leid.«
»Schon gut, Vickie.« Dana betrachtete die Meerjungfrau, die in Wirklichkeit Lily war.
»Und jetzt lass uns gehen, bevor ich ins nächste Fettnäpfchen trete. Wir sind mit Sterling Forsythe zum Lunch verabredet, einem absolut charmanten Journalisten von der
Art Times.
Sag ihm ja nicht, dass ich aus dem Nähkästchen geplaudert habe, aber er ist in dich verliebt. Er hat gehört, dass Jon und du ein für alle Mal fertig miteinander seid, was natürlich absurd ist, und jetzt hofft er, einen fantastischen Artikel über dich zu schreiben und dich damit zur Kapitulation zu zwingen. Wage es ja nicht, Dana.«
Dana lachte, betrachtete immer noch das Vineyard-Bild. Sie hatte es im ersten Sommer in Gay Head gemalt, als sie frisch von der Kunstakademie kam. Sie dachte an Sam, und ihr wurde plötzlich bewusst,
Weitere Kostenlose Bücher