Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
war zu heftig, um etwas zu erkennen. Der Wind wütete ringsum, und das Vorsegel hatte schließlich kapituliert. Es hing in Fetzen am Fockstag wie ein zerrissenes weißes Bettlaken. Quinn schlug das Herz bis zum Hals. Sie spürte, dass ihre Schwester einer Panik nahe war. Allie bemühte sich, tapfer zu sein, aber es gelang ihr nicht ganz. Sogar Quinn hatte Todesangst.
    »Quinn!«, schrie Allie, als das Boot gegen eine riesige Welle prallte und beinahe gekentert wäre.
    »Reiß dich zusammen, Allie!«
    »Ich versuche es ja.«
    Quinns Hände schmerzten. Die Blasen, die sich auf der Haut gebildet hatten, platzten auf. Der Holzgriff war glitschig vom Blut und vom Regen; sie hätte gerne einen Moment losgelassen, um sich das Wasser aus den Augen zu wischen, aber sie wagte es nicht. Sie befürchtete, dass sie es nicht schaffen würde, ihn wieder an sich zu reißen.
    Die nächste Welle kam aus dem Nirgendwo. Quinn hatte eisern geradeaus gelenkt und die meisten Wellen frontal genommen, aber diese traf sie an der Breitseite. Allie kreischte auf, als die
Mermaid
unter der Wucht des Aufpralls erzitterte und sich auf die Seite legte, um sich dann von selbst wieder aufzurichten.
    »Kimba!«, schrie sie und warf sich mit einem Ruck zur Seite.
    »Nicht bewegen, Al!«, befahl Quinn, die sich viel zu große Sorgen um ihre Schwester machte, um auch nur einen Gedanken an das Stofftier zu verschwenden.
    »Mann über Bord!«, schrie Allie und hielt sich am Schandeckel fest, während sie sich über die Wellen beugte. »Halt, Quinn, Kimba ist ins Wasser gefallen!«
    »Zum Donnerwetter, Al! Zurück ins Boot!«, brüllte Quinn.
    »Rette ihn, bitte rette ihn, Quinn.«
    »Himmeldonnerwetter!«
    »Hör auf zu lästern!«
    »Bockmist, verdammter!«
    »Es ist nicht seine Schuld.«
    Quinn wusste, dass sie die Fahrtrichtung beibehalten mussten. Ihre einzige Chance war, die Windkraft zu nutzen. Wenn sie jetzt abdrehte, um ein Mann-über-Bord-Manöver durchzuführen, bestand die Gefahr, dass sie kenterten oder abdrifteten. Sie waren auf Kurs – ihr Vater hatte ihr etwas über die Mess- und Rechenvorgänge bei der Navigation beigebracht –, da sie unentwegt neunzig Grad anpeilten, seit sie Hubbard’s Point verlassen hatten. Aber Allie lehnte sich mit ihrer orangefarbenen Schwimmweste über Bord und heulte zum Steinerweichen.
    »Na gut«, erwiderte Quinn zähneknirschend. »Halse.«
    »Danke, danke.«
    »Hart nach Lee …«
    Der Großbaum über ihnen krachte, als der Wind auf der anderen Seite in das Segel einfiel. Das Boot schaukelte auf den großen Wellen. Vor und zurück, seitwärts. Quinn suchte die Wellen nach Kimba ab. Sie fluchte stumm vor sich hin, dann laut. Das Meer war grau und schwarz, und es bestand nicht die geringste Chance, das schmuddelige, fadenscheinige, verwaschene blöde Katzenvieh jemals wiederzufinden.
    »Kimba, Kimba!«, rief Allie, als könnte er sie hören.
    »Wir können nicht stundenlang nach ihm suchen. Wir kommen vom Kurs ab, wir müssen –«
    »Da ist er!«
    Quinn fixierte die Stelle, auf die Allie deutete, und … nicht zu fassen! Da hüpfte er in den Wellen auf und ab, als sei er ganz in seinem Element, und blickte sie mit einem Lächeln in seinem kleinen Löwengesicht an.
    »Ich hole ihn raus.« Quinn manövrierte das Boot, so gut es ging, in seine Richtung. Näher heran, drei Meter, zwei, einen … Sie löste eine Hand vom Ruder und streckte den Arm aus, beugte sich über die Wellen und fischte das durchnässte, armselige Kuscheltier aus der rollenden See.
    »Du bist Klasse!«, schluchzte Allie und nahm ihr Kimba ab. »Das werde ich dir nie vergessen!«
    Das waren die letzten Worte, die Quinn hörte, bevor die nächste Welle den Bug ergriff und das Boot umkippte.
     
    Die
Endurance
, eine Vierzig-Fuß-Segeljolle aus Stonington, Connecticut, kämpfte sich durch das Unwetter in Richtung Newport, Rhode Island, als der Eigner Crawford Jones ein kleines Segelboot zu sehen glaubte, das genau in diesem Moment südlich von Point Judith kenterte.
    »Was ist denn das?«, fragte er seinen Freund, Paul Farragut, mit konzentriertem Blick auf das Meer.
    »Was ist was?«
    »Hast du das Segel da drüben nicht gesehen?«
    »Ich sehe nur, was vor uns liegt: etwas Warmes zum Anziehen, ein großes Steak und ein trockener Martini im Black Pearl«, erwiderte Paul.
    »Im Ernst. Ich glaube, da ist ein Boot gekentert.«
    »Wo?«
    »Dort drüben.« Crawford deutete nach Südosten.
    »Vielleicht so ein hirnverbrannter Windsurfer, der

Weitere Kostenlose Bücher