Schilf im Sommerwind
Jenseits Verbindung mit mir aufnehmen?«
»Ich studiere das Verhalten von Delphinen. Du hast sicher schon einiges darüber gehört, oder? Dass sie ein hochkompliziertes Kommunikationssystem haben, das wir Menschen bis heute noch nicht ganz enträtseln konnten. Sie bilden so genannte Schulen und teilen sich gegenseitig mit Hilfe von Klicklauten oder bestimmten Bewegungen der Schwanzflossen mit, wo sich Nahrung befindet, dass Gefahr im Verzug ist, ja sogar dass sie sich lieben. Sie verständigen sich über große Entfernungen hinweg, auch wenn sie sich nicht sehen.«
»Wie machen sie das?«
»Das weiß niemand genau.« Sam holte eine Kassette aus dem Handschuhfach und legte sie ein. Er drückte den Startknopf und wartete, bis die ›Musik‹ begann.
Es war der Gesang der Delphine. Auf dem Band herrschte zumeist Stille – für das menschliche Ohr, erklärte Sam –, bis auf ein paar Klicklaute und Triller, Ächzen und Grunzen. »Was wir nicht hören können, ist für die Delphine möglicherweise eine ganze Liebesgeschichte. Sie sind daran gewöhnt, einander zuzuhören, ihre Stimmen sind zu leise für das menschliche Ohr.«
»Zu leise?«
»Wie Lilys.« Dann streckte Sam den Arm aus und ergriff Danas Hand, denn er wusste, auch ohne hinzuschauen, dass sie weinte. »Lily redet ständig mit dir, Dana.«
»Woher weißt du das, Sam?«
»Weil ich manchmal meinen Vater höre. Er sagt mir, dass er stolz auf mich ist, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Er hat einen irischen Akzent, und ich höre ihn meistens nachts, wenn ich alleine auf meinem Boot bin. Malachy Condon hilft mir dabei, ihn zu verstehen.«
»Wer ist das?«
»Ein alter Ire, der in Nova Scotia lebt, vermutlich der beste Zuhörer der Welt. Ozeanograph wie ich, aber er spielt in einer ganz eigenen Liga. Er hat seinen Sohn Gabriel verloren, und die Delphine haben ihn gelehrt, wie er ihn zurückholen kann: indem er das Richtige hört.«
»Und das wäre?«
»Oh, das ist bei jedem Menschen anders.« Sam drückte Danas Hand. »Gabriel war ein Dichter, und so hat Malachy gelernt, auf die Poesie im Alltag zu hören. Mein Vater war ein irischer Lastwagenfahrer, und deshalb ist das, was ich von ihm höre, rau und deftig. Und was Lily angeht …«
»Ihre Stimme ist zart«, sagte Dana und hörte sie erneut. »Aber auch entschlossen und lustig.«
»Ich habe dich gehört.« Er erwiderte kurz ihren Blick, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. Sie sah die Sehnsucht in seinen Augen.
»Was hast du gehört?«
»Wellen. Das mag seltsam klingen, aber so war es. Ich lag in meinem Bett und dachte an dich, und dann hörte ich, wie die Wellen brachen, über die Untiefen brandeten …«
»Du lebst auf einem Boot.«
Er schüttelte den Kopf. »Auf einem Boot sind die Wellen anders. Man ist in ihnen, auf ihnen. Ich hörte die Wellen an Land. Sie brandeten ans Ufer, nachdem sie im Meer gewesen waren, jahrelang – streckten sich ein letztes Mal, um über die Sandbänke zu gelangen, schäumten weiß und brachen, bevor sie an den Strand gespült wurden.«
»Wellen …« Dana schloss die Augen und wusste, dass Sam Recht hatte – sie hatte immer in Hörweite der Wellen gelebt, die ans Ufer brandeten.
»Sie haben mich zu dir geführt. Nach langer Zeit.«
»Wie immer es auch zustande gekommen sein mag, egal, ob es die Wellen waren oder Lily oder beides, ich bin froh darüber«, sagte Dana und betrachtete staunend den Mann an ihrer Seite, der sich mit ihr zusammen aufgemacht hatte, ihre Nichten zu suchen.
Sam nickte, aber er antwortete nicht. Vielleicht war das auch nicht erforderlich. Der Gesang der Delphine ertönte, aber der Wagen war noch vom Klang weiterer Stimmen erfüllt: Lilys, die seines Vaters, Danas und seiner eigenen. Sam hörte zu und fuhr, während Dana ein Stoßgebet zum Himmel schickte. Sie hatten noch einen weiten Weg vor sich.
Das Unwetter war schlimm. Allie sorgte dafür, dass sie auf Kurs blieben, immer nach Osten, und Quinn gab sich die größte Mühe, die Ruderpinne ruhig zu halten. Ihre Arme waren schon ganz lahm, und sie wünschte sich, sie hätte Scheibenwischer vor den Augen. Die Sicht war gleich null. Die Wellen waren haushoch. Die Schwimmwesten scheuerten auf der Haut. Quinn wurde nie seekrank, aber wenn, wäre das bei dem Seegang kein Wunder.
»Wo sind wir?«, brüllte Allie.
»Bald da!«
»Wirklich?« Allie schluchzte auf vor Erleichterung.
»Ich denke schon.«
In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung. Der Regen
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