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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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wenn das so weiterginge, würde sie sich umbringen.
    O mein Gott.
    Das hat sie wirklich gesagt. Vielleicht will ich mein Verhalten im Nachhinein nur rechtfertigen, aber ich hatte das Gefühl, mir blieb keine andere Wahl. Ich ging in ihr Zimmer, als sie beim Schwimmunterricht war, und las ihr Tagebuch. Allie war zu Hause, weil sie Halsweh hatte, und sah mich. Da ich nicht wusste, wo Quinn ihren Schlüssel aufbewahrt, probierte ich meinen eigenen. Natürlich passte er nicht, und deshalb schnitt ich die Lasche auf.
    Dann kam es knüppeldick, und ich habe es verdient. Meine Tochter schrieb, dass sie sich in den Schlaf weint, weil sie Angst hat, wir könnten uns scheiden lassen, und nicht versteht, was los ist. Ich reagiere wirklich allergisch auf Marks Projekt – aber die Sache geht mir unter die Haut. Martha’s Vineyard ist meine spirituelle Heimat, dort habe ich mich verliebt und Quinny zur Welt gebracht. Dort habe ich zuletzt mit Dana zusammengelebt …
    Ich muss mich zusammenreißen. Aus dem Mund meiner eigenen Tochter zu hören – sie ist erst elf! –, dass sie sich am liebsten umbringen würde, macht mich verrückt vor Angst. Ich bin wütend auf Mark, weil er Jacks Geld angenommen hat. Schon der Anblick der Angelkiste ist für mich ein rotes Tuch – als ich es ihm sagte, konterte er mit der oberschlauen Bemerkung, dass man nehmen muss, was kommt, das Gute wie das Schlechte. Dann verstaute er alte Unterlagen vom Sun Center darin und meinte, auch wenn mir das eine oder andere missfalle, müsse ich versuchen, das Gesamtbild zu sehen.
    Ich habe die Angelkiste in die hinterste Ecke des Schuppens verbannt. Ich hoffe, er bringt sie auf den Müll.
    Dana las den letzten Eintrag vom dreißigsten Juli des letzten Sommers, Lilys Todestag.
    Okay. Waffenstillstand. Der Mond ist aufgegangen, scheint auf das ruhige, dunkle Meer. Die Kinder sind im Bett, schlafen tief und fest. Vorhin habe ich mich wie eine Verrückte aufgeführt und ihren Vater, die große Liebe meines Lebens, angebrüllt, als sei ich von Sinnen. Egal, ob Vollmond-Anfälligkeit oder postmenstruelles Syndrom, ich habe getobt wie ein Berserker und Dinge gesagt, die ich gerne zurücknehmen würde. Ich habe Mark beschuldigt, uns zu ruinieren, unsere Familie zu zerstören – eine grausame Bemerkung, die auf Quinns Androhung vor drei Tagen abzielte, von der ich ihm brühwarm erzählt hatte.
    Wir haben beschlossen, segeln zu gehen.
    Um die Mädchen muss ich mir keine Sorgen machen. Oder, liebes Tagebuch? Ich habe sie noch nie mitten in der Nacht alleine gelassen, aber andrerseits habe ich meinem Mann auch noch nie eine derartige Szene gemacht. Er möchte sich mit mir versöhnen. Und ich mich mit ihm. Vielleicht auf den Wellen, mit allem, was dazugehört. Oder auch nicht.
    Es spielt keine Rolle. Ich liebe ihn auch so.
    Und ich liebe meine beiden Töchter. Es macht mir Angst, es zu sagen, aber ich liebe sie mehr als meinen Mann, mehr als Dana, mehr als mein eigenes Leben. Es tut mir Leid, dass ich Quinn verletzt und mit ihrem Vater gestritten habe. Ich habe nie gehört, dass meine Eltern derart ausfallend geworden wären, und ich finde es entsetzlich, dass ich mich so wenig im Griff hatte. Sie weiß, dass ich mich für Mark schäme, wegen des Geldes – sie hat gehört, wie ich ihm das Wort Schmiergeld an den Kopf geworfen habe. Und dass der Mann, der es bezahlt hat, alt und verkrüppelt ist … oje, ziemlich verfahren, das Ganze.
    Die Nacht ist kristallklar, und es weht eine stetige, steife Brise, Windstärke sieben. Meine Töchter schlafen wie die Murmeltiere. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann eine von beiden das letzte Mal vor dem Morgengrauen aufgewacht wäre. Keine Albträume, kein Schlafwandeln, nichts als himmlische Träume. Sie werden die ganze Nacht in Morpheus’ Armen verbringen, und ich werde in einer Stunde wieder zu Hause sein. Vielleicht schon in einer Dreiviertelstunde.
    Der Mond ist wunderschön. Während ich auf der Mauer des Kräutergartens sitze, breitet er sein Licht über dem Meer aus: von hier bis nach Martha’s Vineyard und Frankreich. Die Meerjungfrauen haben ihr Netz ausgeworfen; Miss Alice würde sagen, sie wachen über uns.
    Über uns alle, die zu den Meerjungfrauen gehören: Mom und Dana, Quinn, Allie und mich. Wir können uns unendlich glücklich schätzen, dass wir einander haben.
    Tränen liefen über Danas Wangen, als der letzte Eintrag endete. Nachdem sie soeben eine Stunde lang Lilys Stimme gehört hatte, vermisste

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