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Schilf

Schilf

Titel: Schilf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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und die Strickjacke fest um den Körper zieht, natürlich nicht, weil sie nicht der Typ dafür ist. Vielmehr macht ihr Sorgen, dass sie Zeit verschwendet. Sie ist noch nicht lang im Geschäft, aber sie merkt sofort, wenn sie nicht weiterkommt. Und wenn Rita eins hasst, sind es Sackgassen.
    Ihr einziger Erfolg an diesem verdorbenen Tag besteht bislang darin, Chefarzt Schlüter durch dreiste Überrumpelung zu einer kurzen Unterredung gezwungen zu haben. Früh am Morgen ist sie voller Elan am Empfang vorbeigerauscht, hat den Fahrstuhl in die Kardiologie genommen und sich auf dem Flur hinter einem Aluminiumschrank versteckt. Als der Chefarzt mit seinem Schwarm Weißkittel zur Visite erschien, trat sie ihm an der Tür des nächstgelegenen Patientenzimmers in den Weg. Schlüter schien nicht überrascht. Ohne ein Wort packte er sie am Ärmel. Seine Übung im Umgang mit Körperteilen, die nicht ihm gehören, zeigte sich an der Härte seines Zugriffs und an seiner Gleichgültigkeit gegenüber Ritas anatomischen Besonderheiten. Er drängte die Kommissarin zu einer Glastür, die er hinter sich ins Schloss zog. Die ausgesperrten Oberärzte und Krankenschwestern begannen sogleich, ein Gespräch vorzutäuschen, während sie mit dem gespielten Desinteresse von Goldfischen durch die Scheibe äugten.
    Rita und Chefarzt Schlüter befanden sich auf dem Absatz eines Lieferantenaufgangs zwischen Putzeimern, Wäschewagen und ausrangierten Rollstühlen. Entgegen ihrer Gewohnheit kam Rita kaum zu Wort. Schlüter hob die Stimme nicht und brauchte keine fünf Minuten für seinen Vortrag.
    Die Polizei verfolge ihn, der den hippokratischen Eid nicht als bloße Formsache, sondern als Herzensangelegenheit geschworen habe, seit zwei Wochen mit den absurdesten Vorwürfen. Er sei nicht sicher, ob sich eine holzköpfige Beamtin wie Rita Rechenschaft darüber ablege, was es bedeute, einen komplexen Betrieb unter diesen Umständen zu führen. Einige Patienten verweigerten die Medikation, weil sie fürchteten, dass man sie im Auftrag der Pharmaindustrie mit nicht zugelassenen Tabletten vergifte. Noch weniger könne sich Rita vermutlich vorstellen, dass ihn, Schlüter, der grausame Tod seines Anästhesisten von allen Beteiligten am härtesten treffe. Er werde dieses Spiel nicht länger mitspielen. Wenn Rita und ihre Freunde nicht sofort aufhörten, ihn in aller Öffentlichkeit als Mörder zu behandeln, sähen sie alle miteinander einer Verleumdungsklage und damit einem Polizeiskandal entgegen, der sich gewaschen habe. Er halte es nicht für nötig, die Namen jener einflussreichen Persönlichkeiten aufzuzählen, mit denen er als begeisterter Golfspieler regelmäßig verkehre.
    Zum Abschluss seiner Rede präsentierte er mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck ein Alibi für Dabbelings Todesnacht. Ein geselliger Kurzurlaub im Montreux Palace Hotel am Genfer See. Die Eckdaten trug er so selbstbewusst vor, dass Rita sofort beschloss, die Überprüfung an Kriminalhauptmeister Sandström zu delegieren. Danach wünschte Schlüter einen guten Tag, winkte seine Kittelträger heran, ließ sich von einer Krankenschwester die Tür aufhalten und marschierte über den Flur auf das planmäßig bevorstehende Patientenzimmer.
    Rita, zu stolz, um ihm nachzulaufen, blieb zähneknirschend zurück, verfluchte ihren Job und merkte zu spät, dass man die Tür nur von der anderen Seite öffnen konnte. Sie hatte bei weitem nicht genug in der Hand, um Schlüter als Tatverdächtigen vorzuladen. Er war nicht einmal ein Zeuge, den der Ermittlungsrichter zu einer Aussage hätte zwingen können.
    Während des restlichen Vormittags hat sich die Kommissarin auf der Station herumgetrieben, hat Pfleger, Patienten und Nachwuchsärzte mit Fragen belästigt und keine einzige brauchbare Auskunft erhalten. Alle haben Dabbeling, den kompetenten Oberarzt und netten Kollegen, von Herzen gemocht. Leider hat ihn niemand gut gekannt. Unverheiratet, kinderlos. An Wochenenden freiwillig im Bereitschaftsdienst. Allseitiges Entsetzen über sein schreckliches Ende. Vor dem unschuldigen Antlitz einer Schwesternschülerin hat Rita schließlich die Nerven verloren. Sie hat mit ihren großen Händen die Luft zerteilt, bis das Mädchen in Tränen ausgebrochen ist. Danach musste sie die Kleine auch noch in den Armen wiegen und trösten, weil eine jähzornige Kommissarin böse zu ihr war.
    Die Belegschaft dieses verdammten Spitals, denkt Rita und beobachtet einen Patienten beim heimlichen Rauchen auf dem Balkon,

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