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Schilf

Schilf

Titel: Schilf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Sandwich verharrt in der Luft.
    »Was soll das, Schilf?«
    »Ich versuche, mich mit Ihnen zu unterhalten. Man muss ja nicht immer über die Arbeit reden.«
    Rita hat schon für eine patzige Antwort Luft geholt, überlegt es sich dann aber anders und denkt nach.
    »Für meine Katze ein neues Zuhause finden«, sagt sie. »Auf einer Rundreise alle Menschen besuchen, die ich liebe.«
    »Wäre das eine lange Tour?«
    »Ziemlich kurz.«
    Schilf nickt. Am Eingang sind zwei Besucher aufeinandergetroffen und beginnen ein Gespräch. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, sagt der eine. Die Hoffnung, nicht wahr, die stirbt zuletzt, sagt der andere. Beide lachen und hören sofort wieder damit auf. Sie stehen auf einer Kontaktschleife der elektrischen Schiebetür. Hektisch öffnen und schließen sich die Flügel.
    »Es müsste eine Erdgeschosswohnung sein«, sagt Rita. »Mit Garten. Für die Katze, meine ich.«
    Mit spitzen Fingern sammelt sie Putenstücke vom Teller, schiebt sie in den Mund und schluckt, ohne zu kauen. Am liebsten würde sie sofort nach Hause fahren, die Vorhänge zuziehen, die Ohren mit Watte gegen das Vogelgezwitscher verschließen. Im Bett liegen und die Katze streicheln und sich fragen, warum sie nicht auf ihre Eltern gehört hat.
    »Das Krankenhaus tut uns nicht gut«, sagt Schilf zu ihrer gesenkten Stirn. »Reden wir eben doch wieder übers Geschäft.«
    »Prima«, sagt Rita. »Und wie läuft’s bei Ihnen?«
    Als der Kommissar nach ihrem Teller greift, nimmt sie die zweite Brötchenhälfte auf und beißt trotzig hinein.
    »Wie immer«, sagt Schilf. »Was das betrifft, bin ich ganz der Alte. Ein wahrer Stalin der kriminalistischen Methode.«
    Verwundert schaut Rita ihn an.
    »Ihren Radfahrermörder habe ich wohl gefunden«, sagt der Kommissar.
    Es fehlt nicht viel, und Rita hätte das Stück Brötchen über den Tisch gespuckt. Sie betrachtet die Überreste ihres kläglichen Mittagessens und wartet auf den Wutanfall. Er kommt nicht. Sie fühlt sich einfach nur müde, auf eine endgültige Art.
    »Ich habe Sie gewarnt«, sagt sie lahm. »Sie sollen mir nicht in die Quere kommen.«
    »Aber Sie stehen doch mit leeren Händen da?«
    »Dafür sind es meine Hände!«
    Zum Beweis zeigt sie dem Kommissar ihre Handflächen, die, trotz ihrer Größe, schön geformt sind. Schilf erhebt sich, verstaut den Schachcomputer und zieht einen altmodischen Füller hervor, dessen Feder die Papierserviette zerreißt. Er kritzelt eine Telefonnummer.
    »Ich muss noch ein Detail überprüfen. Falls Sie das Ergebnis interessiert, rufen Sie mich an. Einstweilen gehe ich im Wald spazieren.«
    Gerade als der Kommissar den Tisch verlässt, erscheint Schnurpfeil im Eingang und sieht sich suchend um. Sein Auftritt in der perfekt sitzenden Uniform lässt sämtliche Gespräche an den Nebentischen verstummen. Zielstrebig hält Schilf auf ihn zu. Er schiebt den Polizeiobermeister, dessen Augen hilfesuchend an Rita hängen, zurück auf die Straße.
    Exit Schilf , denken der Kommissar und Rita im selben Moment.

Sechstes Kapitel in sieben Teilen. Der Kommissar hockt im Farn. Ein Zeuge, auf den es nicht ankommt, hat seinen zweiten Auftritt. Manch einer fährt nach Genf.
    1
    Z wischen den Vordersitzen strömt Kühlschrankluft nach hinten und bewegt das dünne Haar an den Schläfen des Kommissars. Er findet es nicht unangenehm, ein bisschen zu frieren, obwohl der Luftzug direkt von Schnurpfeils feindseligem Rücken auszugehen scheint. Der Polizeiobermeister hat die Klimaanlage voll aufgedreht und den Dienstfunk laut gestellt. Zischendes Stimmengestolper übertönt eine Unterhaltung, die sie ohnehin nicht führen. Über den Innenspiegel behält Schnurpfeil den Kommissar im Auge, der ihn mit knappen Fingerzeigen durch die Stadt lenkt und dabei ein Zeitungsphoto auf den Knien balanciert. Es zeigt ein Stück Straße und zwei Bäume, die einander direkt gegenüberstehen.
    Als sich die letzten Häuser in den Wald zurückziehen und die Licht-und-Schatten-Ornamente des Tals über die Armaturen zu wandern beginnen, bricht Schnurpfeil sein frostiges Schweigen.
    »Sie können auch gleich sagen, dass Sie zum Tatort wollen.«
    »Oh je«, ruft Schilf. »Jetzt haben Sie mich durchschaut. Sie wissen also, wo es passiert ist?«
    »Jeder weiß das. Außerdem war ich mit der Spurensicherung dort.«
    »Das trifft sich gut.«
    Der Kommissar zerreißt das Photo, öffnet das Fenster und lässt die Schnipsel hinauswirbeln. Zufrieden hebt er die Nase in den warmen

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