Schilf
sprechen?«
»Nicht in unserer Sprache.«
»Heute früh habe ich mich in der Stadt mit einem Papagei unterhalten.«
»Das war bestimmt Agfa. Pass auf, pass auf?«
Es wäre eine gute Gelegenheit, sich anzulächeln. Maike lässt sie ungenutzt. Sie schiebt den Hals einer Gießkanne durch die Stäbe und füllt den Wassernapf.
»Wie heißt der?«
»Nymphensittich. Aus der Familie der Kakadus.«
»Ich meine, persönlich?«
Der Vogel vor Schilfs Gesicht hat seine Begutachtung abgeschlossen und klimmt weiter das Gitter hinunter, um sich am Verzehren der Erdnüsse zu beteiligen. Maike überwindet ein winziges Zögern, bevor sie antwortet.
»Er heißt Ralph.«
»Und die beiden da«, schnell zeigt Schilf auf ein Pärchen, das schnäbelnd auf einer Sitzstange hockt, »sind verliebt?«
»Zwei Hähne. Sie schmusen zur Anregung von Gehirn und Keimdrüsen.«
»Dafür ist Männerfreundschaft gut?«
»Bei Nymphensittichen«, sagt Maike unbewegt.
Ihre hell bewimperten Augen sind leicht entzündet und starr, als hätten sie das Zwinkern verlernt. Sie sehen dem Kommissar rücksichtslos ins Gesicht.
»Lassen Sie uns reingehen«, sagt sie. »Da können wir dann über Gemälde reden.«
Die beiden Stühle, auf die Maike zusteuert, stehen mitten im Raum und für ein gemütliches Gespräch zu weit auseinander. Sie sind rot und in sich verdreht, so dass die Lehne nicht das Rückgrat, sondern die rechte Schulter des Sitzenden stützt. Schilf sieht den Gestaltungswillen des Designers wie eine farbige Wolke um die Objekte schweben und setzt sich nur mit Widerwillen. Es gelingt ihm nicht, eine plausible Haltung zu finden. Schließlich lehnt er sich vor wie ein Halbstarker an der Bushaltestelle, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Er bläht die Backen, als er bemerkt, dass Maike auf ihrem verdrehten Stuhl die Beine elegant übereinandergeschlagen hat und dabei eindeutig das schönste ihrer Kunstwerke darstellt. Hinter ihr bedeckt das Ergebnis einer monströsen Photoarbeit die ganze Wand. Obwohl das Bild nichts Gegenständliches erkennen lässt, weiß Schilf sofort, worum es sich handelt. Eine Straßenkreuzung bei Nacht, aufgenommen mit einer Belichtungszeit von mehreren Stunden.
Von bildender Kunst hat Schilf keine Ahnung; nur in einem Moment geistiger Umnachtung konnte er sich als Kaufinteressent ausgeben. Der Schweiß rinnt ihm aus den Haaren in den Nacken. So wie Maike vor ihm sitzt, unnahbar, überrealistisch, einen kühlen Hauch verströmend wie der Gewerbebach vor dem Haus, in dem sie lebt, stellt sie das einzige Werk in diesen Räumen dar, das Schilf samt Stuhl vom Fleck weg erwerben würde. Er würde sie in seiner Wohnung aufstellen. Sie dürfte sich niemals bewegen und nichts sagen, jedenfalls nicht, solange er zu Hause wäre. Kein Wunder, denkt der Kommissar, dass Sebastian sie liebt. Neben einer Frau wie Maike verblassen die Fragen nach den Naturgesetzen. In jedem denkbaren Paralleluniversum wäre sie vorhanden und sich selbst immer gleich.
Auch Maike blickt auf einen knallroten, sündhaft teuren Girome-Stuhl, aber darauf sitzt kein Kunstwerk, sondern ein formloser, schwitzender Mensch, der ihr seltsame Blicke zuwirft. In ihrem Kopf sind ein toter Ralph Dabbeling und ein entführter Liam damit beschäftigt, sich zu etwas auszudehnen, das jeden Augenblick explodieren kann. Maike ist ein Opfer, sie hat nichts getan, außer in Urlaub zu fahren. Ihre Schuld besteht nur in einer mehrtägigen Abwesenheit, nach der sie mit ansehen musste, wie sich ihr Mann erst in einen Fremden, dann in ein Monster verwandelte, das sie anbrüllte, an den Schultern packte und zu Boden warf. Der Streit liegt kaum drei Stunden zurück und ist ihr trotzdem schon unvorstellbar geworden. Sie hat mit einem Unglück gerechnet, aber mit einem, auf das man mit dem Finger zeigen kann; nicht damit, in der eigenen Sprache kein Wort mehr zu verstehen. Die Liste der schrecklichsten Tage ihres Lebens ist eröffnet, jeder folgende wird den vorherigen von Platz eins verdrängen, und das wird, wie Maike ahnt, noch eine ganze Weile so weitergehen.
Der Mann auf dem Girome-Stuhl schwitzt, als wollte er sich in Wasser auflösen und auf diese Weise von der Erdoberfläche verschwinden. Er schwitzt zu sehr für einen Sammler und erst recht für einen gewöhnlichen Kunstliebhaber auf Schnäppchensuche. Nur seine Augen sind kühl. Darin sieht Maike etwas Unnahbares, Überrealistisches, eine Spiegelung des schönsten aller Kunstwerke, das dieser Mann, wenn er könnte,
Weitere Kostenlose Bücher