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Schillerhoehe

Schillerhoehe

Titel: Schillerhoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schaewen
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ihre Ori­ ginale gratis überließen, damit später einmal Germa­ nisten aus aller Welt diese Handschriften in Marbach erforschen konnten.
      Immer noch blickte der Direktor zufrieden auf das Schillerdenkmal, als ein schwarzer Mercedes 500 vor­ fuhr. Ein sonnengebräunter Mann um die 40 hechtete mit einem flotten Sprung aus dem Cabrio. Es war Utz Selldorf, einer der Nachlass­Agenten. Dollinger mochte sie allesamt nicht. ›Es würde mich nicht wundern, wenn sich nicht auch Analphabeten unter ihnen finden lassen würden‹, hatte er einmal in einem schwachen Augenblick zu seiner Sekretärin gesagt. Der paparazziartige Spürsinn und das kaufmännisch­leichte Gehabe dieser, wie er sie nannte, Außendienstler, ekelten Dollinger an, doch war er auf ihre Dienste angewiesen. Selldorf brachte offen­ bar Neuigkeiten, sonst würde er ihn nicht unangemel­ det am Samstagvormittag im Literaturarchiv aufspüren. Kurze Zeit später saßen sie sich gegenüber.

    »Na, welchen Schreiberlingen gehts heute nicht gut?«, fragte Sven Dollinger.
      Der laxe Unterton gehörte zum Stil, den sich der Direktor in den Gesprächen mit den oft jüngeren Agen­ ten angewöhnt hatte. Manche Schriftsteller gingen aus seiner Sicht verantwortungslos mit ihren Aufzeich­ nungen um, die das Literaturarchiv gerne als Vor­ oder Nachlässe aufbewahren wollte. Die Autoren beant­ worteten Anfragen nicht, und lagen sie erst einmal im Sterben, war es oft schon zu spät, um die nöti­ gen Schritte einzuleiten. Ganz zu schweigen von den Erben, die sich von den Handschriften wahre Reichtü­ mer erhofften und in den Verhandlungen nicht selten völlig verkrampften. ›Dann gehen wir eben nach Sothe­ bys‹, musste Dollinger neulich hören, als der Sohn des Schweizerischen Essayisten, Kurt Bartigheimer, nach dessen tödlichem Verkehrsunfall bei ihm auf der Matte stand und er sich weigerte, die geforderte Summe für die gesammelten Werke herauszurücken.
      »Eigentlich gibts wenig Neues«, sagte Utz Selldorf und fing an zu berichten: von Lothar Münchburg, dem postmodernen Prosaautor aus dem Oberpfälzischen, der seit einem halben Jahr an einem Prostatakarzi­ nom laborierte. Ein Kuraufenthalt in Bad Wörisho­ fen habe ihm zwar eine gewisse Linderung verschafft, doch in der Nachlassfrage sei man – trotz eines län­ geren gemeinsamen Spaziergangs durch den Kurpark und eines anschließenden Abendessens, das Selldorf auf die Spesenrechnung setzte – noch nicht weiterge­ kommen. Er werde aber hartnäckig dranbleiben, ver­ sicherte der Agent.
      Offenbar ist Münchburg sein dickster Fisch, dachte Dollinger, der sich noch anhören musste, wie es der schwer depressiven Lyrikerin Charlotte Geistheimer und dem fast 100­jährigen Expressionisten Gustav Zell­ weg nach dem zweiten Schlaganfall erging. Außerdem erwähnte Selldorf noch die junge Dramatikerin Bianca Martin, die bei der Kirschernte im heimischen Bruns­ büttel von der Leiter gefallen war und immer noch im Koma lag.
      »Alles momentan nicht so einfach«, bemerkte Utz Selldorf, der mit solchen zusammenfassenden Phra­ sen gerne zu seinen Spesenabrechnungen überleitete. Für Sven Dollinger ein deutlich wahrnehmbares Sig­ nal, dass er vom geduldigen Zuhörer zum knallharten Kalkulator mutieren musste.
      »Wie Sie wissen, fließen immer weniger Gelder aus Berlin, seit Rümmelsbacher nicht mehr Staatsminis­ ter ist«, erklärte Sven Dollinger. »Das Archiv muss leider einen strikten Sparkurs verfolgen. Aber seien Sie gewiss, beim nächsten Treffer werden Sie für Ihre Mühen gebührend entschädigt.«
      Utz Selldorf wusste selbst, dass er nicht viel zu bieten hatte. Dass ihn Dollinger aber bei der Spesenrechnung leer ausgehen lassen wollte, enttäuschte ihn. »Ich hatte gehofft, meine langjährige Loyalität würde Ihnen etwas bedeuten«, bemerkte er mit säuerlicher Miene. »Falls es Sie interessiert: In Fachkreisen wird Marbach längst nicht mehr als das gehandelt, was es einmal war.« Als Dollinger ihm energisch widersprach, wurde Selldorf konkreter: »Es gibt auch andere Archive, die sich um Nachlässe bemühen. Fragen Sie doch zum Beispiel mal Erika Scharf, wohin Sie ihre Originale geben wird.«
      Dollinger wippte nun etwas nervös mit den Füßen. Natürlich hatte er die Artikel im Feuilleton der Nord­ deutschen Zeitung und des Frankfurter Allgemeinen Zirkels verfolgt. Der Institutsdirektor hatte schon dar­ auf gewartet, dass Selldorf dieses Thema anschneiden würde.

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