Schillerhoehe
geführt hatte. Vielleicht konnte er ihm verraten, welche Funk tion dieser Gang in dem unterirdischen Gebäudekom plex erfüllte. Plötzlich durchschnitt eine laute, gebie terische Stimme die Stille des Kellers.
»Was ist hier passiert?«
Der Ruf riss Peter Struve aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und sah, wie sich ihm eine groß gewach sene Gestalt mit schnellen Schritten näherte, eine Frau und zwei Männer liefen hinterher. Struve fielen kurz seine Kartoffeln ein. Marie musste sie inzwischen gefunden haben. Vielleicht würde sie seine Kochidee weiterentwickeln. Er hatte ihr absichtlich nichts davon erzählt, um sie zu überraschen. Aber was dachte er an die Kocherei, er musste sich jetzt auf seine Arbeit konzentrieren. Der Mann, der gleich vor ihm stehen würde, verbreitete eine laute und unangenehme Aura. Struve kannte das aus der Chefetage des Polizeiprä sidiums. Dort saßen genügend Typen, die Lautstärke mit Gedankenschärfe verwechselten. Diesem angebe rischen Fossil musste er also jetzt Fragen stellen – und Struve freute sich auf das offenbar bevorstehende kleine Scharmützel.
Dollinger stand jetzt mit fordernder Miene vor ihm, als ob ihm der Kriminalist eine Erklärung schul dig wäre.
»Sie haben da wohl eine Leiche im Keller«, bemerkte der Kommissar trocken.
»Ich – eine Leiche im Keller? Sehr witzig. Wer sind Sie überhaupt?«
»Struve, Kripo Stuttgart. Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Sven Dollinger, ich bin der Leiter der hiesigen Institute – aber, mein Gott, das ist ja Dietmar Scharf!«, rief der Direktor völlig überrascht, bevor sie sich die Hände zur Begrüßung geben konnten.
»Sie kennen den Toten?«, fragte Struve.
»Ja, was heißt kennen. Wir haben uns gestern getrof fen. Er ist der Mann von Erika Scharf. Lesen Sie denn keine Zeitung? Sie hat gestern im Schlosskeller …«
»Ja, ja, schon gut, das habe ich im Kurier gelesen, Erika Scharf, die Schriftstellerin.« Struve drehte sich leicht zur Seite. Er hatte keine Lust, sich mit seinem Gegenüber anzulegen. Dollinger wiederum merkte, dass ihm die Schulter gezeigt wurde und kam dadurch erst richtig in Fahrt.
»Können Sie sich überhaupt ausweisen?«
Lässig holte der Kommissar seine Dienstmarke aus der Tasche und drückte sie seinem Gegenüber in die Hand. »Bitte. Wiedersehen macht Freude – der Ein fachheit halber schlage ich vor, dass von jetzt an ich die Fragen stelle.«
Der immer noch aufgeregte Dollinger hielt kurz die Luft an, dann nickte er. »Ja, natürlich, Sie sind der Kom missar, tun Sie nur Ihre Arbeit.« Dieser Polizist mit sei ner labbrigen Jeans, dem verblichenen karierten Hemd und der alten Lederjacke musste auf ihn wie ein Müßig gänger aus der Kneipenszene wirken. Dollinger geißelte regelmäßig den Verfall der Kleiderkultur, mit Vorliebe bei Ansprachen zu den Weihnachtsfeiern. Wenigstens in seinem Haus sollte es einigermaßen stilvoll zugehen.
Peter Struve zückte seinen Block, um sich Noti zen zu machen. »Wann haben Sie mit Dietmar Scharf gesprochen?«
»Das war nach der Lesung, seine Frau hat Bücher signiert, wir konnten einige Zeit miteinander plaudern, Erika Scharf hat sich nach dem Signieren einem Jour nalisten vom Marbacher Kurier gewidmet.«
Die Sekretärin Ilse Bäuerle mischte sich ein. »Das kann man wohl sagen, der junge Mann von der Zei tung hat sie regelrecht hofiert, man kam ja gar nicht mehr an sie ran.«
Alle blickten sie an. »Frau Bäuerle, meine Sekretärin, sie war gestern auch bei der Lesung«, erklärte Dollin ger. »Und das ist Herr Selldorf, mit dem wir geschäftli che Verbindungen unterhalten. Herrn Schäufele haben Sie ja schon kennengelernt, er arbeitet bei uns in der Handschriftenabteilung.«
Peter Struve notierte die Namen. »Sie sagten, Sie konnten einige Zeit mit Herrn Scharf reden – worü ber haben Sie denn miteinander gesprochen?«
»Ach wissen Sie, man redet bei solchen Anlässen über das Übliche: wie schön Marbach ist, ob ihm das Schillermuseum, das neue Museum und das Geburts haus in der Niklastorstraße gefallen haben. Smalltalk eben.«
»Was hat Scharf nach dem Gespräch mit Ihnen gemacht?«
»Ich muss sagen, ich habe ihn danach etwas aus den Augen verloren, es drehte sich ja alles um seine Frau.«
Peter Struve blickte in den Korridor. Dollinger berichtete ihm, dass nur etwa 20 Personen einen Schlüs sel für
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