Schillerhoehe
Natürlich wusste Rieker, dass ihm das möglicherweise den Kopf retten könnte, falls es Situationen geben sollte, in denen die Presse seiner Meinung nach den Ball lieber flach halten sollte.
»Na Herr Bürgermeister, was gibts Neues in der Stadt?« Gustav Zorn betrat letzten Loch die Terrasse. Lässig warf er den Schläger auf einen Stuhl und setzte sich.
»Na, dasselbe könnte ich doch Sie fragen, Herr Redaktionsleiter.« Rieker grinste. Er und Zorn siez ten sich im Golfklub ganz bewusst. Sie wollten damit den Anschein erwecken, dass sie nicht miteinander kun gelten. Der Bürgermeister bestellte sich einen Campari Orange. Zorn tat es ihm gleich und zündete sich eine seiner Havannas an.
»Schätze, es könnte bald mal wieder Ärger mit den Anwohnern auf der Schillerhöhe geben«, erzählte Rie ker.
»Ach ja?« Zorn blickte neugierig auf, während er seine Zigarre rauchte. Bereits beim Bau des Literatur museums der Moderne hatten einige Nachbarn protes tiert. Der Marbacher Kurier war damals darauf einge gangen und hatte über den Konflikt berichtet. Der Bür germeister, zugleich Vorstandsmitglied der Deutschen Schillergesellschaft, wollte nicht, dass einige Querulan ten das Bauprojekt torpedierten. »Gehts wieder ums Museum?«, fragte Zorn.
»Nicht direkt, aber es geht mal wieder um die Urangst, dass der Nachbar die eigene Ruhe stört.« Rieker lachte. Er dachte an die heiße Nacht mit Gianna Signorini, mit der er die OpenAirKulturbühne schon öfter bespro chen hatte. Dabei fiel fast immer der Name von Hed wig Lieb, der verschrobenen Inhaberin einer Lottoan nahmestelle. Die verschlossene 62Jährige hatte es dank des regen Spiels der Marbacher inzwischen selbst zu einigem Wohlstand gebracht. Ihr Besitz ließ die ältere Dame allerdings nicht innerlich großzügiger werden, und so opponierte sie in der Nachbarschaft immer noch gegen das inzwischen etablierte und architektonisch preisgekrönte Literaturmuseum der Moderne, dessen Ausstellungen jährlich Tausende von Besuchern nach Marbach lockten.
»Ah, verstehe: Mischt wieder diese Lieb mit? Worum gehts denn?« Zorn schien interessiert.
»Das Parkhotel plant eine Bühne für Kleinkunst und Konzerte, und die Lieb wohnt ja ganz in der Nähe. Sie ist stinksauer«, erzählte Rieker. »Aber so, wie es aus sieht, kann sie das Projekt nicht stoppen.«
»Na, das dürfte doch auch die Leser des Kuriers inte ressieren«, meinte Zorn.
»Ja, aber alles zu seiner Zeit«, bat Rieker, »das Ver fahren muss erst noch im Gemeinderat diskutiert wer den.«
»Sie sind lustig, Rieker. Was soll ich machen, wenn die Nachbarn bei uns auf der Matte stehen und uns Leserbriefe schreiben? Die Diskussion müssen Sie schon aushalten.«
So einfach ist das nun auch wieder nicht, dachte der Bürgermeister. Schließlich hatte diese Lieb dies mal möglicherweise das Recht auf ihrer Seite. Für den Bau einer Kulturbühne gab es bestimmte Vorschriften, und er war sich nicht sicher, ob das Hotelgelände die sen Vorgaben entsprach. Er wollte jedoch Gianna nicht beunruhigen und hatte ihr deshalb noch nichts von die sen Störfaktoren erzählt. Und er wollte auch diesen Aspekt nicht unbedingt einem Journalisten verraten, und schon gar nicht Zorn, bei dem man nie so genau wusste, ob er sich in seinen Kommentaren populistisch gab und die Verwaltung rüffelte. Aber vielleicht hatte er ihn ja durch dieses erste vertrauliche Gespräch für seine Absichten gewinnen können.
»Verstehe Sie ja gut, Herr Zorn – aber warten Sie nur noch ein paar Wochen zu, dann haben Sie immer noch Ihre Story, und wir sind mit der Lieb vielleicht schon ein bissle weiter – wo ein guter Wille ist, da ist doch auch ein Weg.« Rieker prostete seinem Gegen über zu und lenkte das Gespräch auf die Erkenntnisse der jüngsten Verkehrsschau am KönigWilhelmPlatz und damit auf ein ganz anderes Thema.
Im Hotel hatte Gianna Signorini an diesem Morgen ziemlich viel zu tun. Viele Gäste reisten ab, nachdem sie am Abend zuvor die Lesung mit Erika Scharf erlebt hat ten. Dass die berühmte Schriftstellerin in ihrem Haus und nicht im ArtHotel übernachtet hatte, schmeichelte der temperamentvollen Italienerin. Eigentlich hätte sie darüber höchst erfreut sein können, doch die Dichte rin hatte bereits am frühen Morgen das Gästehaus auf gemischt, weil sie ihren Mann vermisste. Hätte sie ihre Sorge in einem vertraulichen
Weitere Kostenlose Bücher