Schillerhoehe
Telefonat geäußert, wäre die Hotelinhaberin vermutlich ruhig geblieben. Dass aber ausgerechnet der voll besetzte Frühstückssaal den peinlichen Auftritt des Stargastes miterleben musste, brachte Gianna Signorini gehörig aus dem Tritt.
»Herr Malchow, rufen Sie die Polizei an und fra gen Sie, ob jemand Herrn Scharf gesehen hat«, hatte sie laut und deutlich vor allen Gästen gerufen. Aber diese Frau. Wie eine Furie rannte sie aufgeregt vor der Rezep tion auf und ab, immer wieder dieses ›Nun tun Sie doch etwas, wofür werden Sie bezahlt?‹ Nein, bei aller Liebe und trotz Prominentenbonus – Signora Signorini war nicht bereit, der Erfolgsautorin einen derartigen Auftritt zu verzeihen. Manche verschwinden eben über Nacht, dachte sie mit Verbitterung insgeheim und erinnerte sich an die Leiche, die kürzlich im Beton eines Hotelrohbaus in Palermo gefunden und im Fernsehen gezeigt worden war. Dieser Dietmar Scharf mochte vielleicht ein windi ger Hund sein, aber angesichts dieses Drachens blieb ihm bestimmt nicht viel anderes übrig als abzuhauen.
Inmitten der ganzen Aufregung rief auch noch Gian nas Mann, Ernesto, an.
»Mi amore«, hauchte er ins Telefon. »Stell dir vor: In Mailand regnet es – und ich bin so traurig, dich jetzt nicht sehen zu können.«
Gianna fand das überhaupt nicht traurig, geschweige denn lustig, sie sah ihren Mann sonst wochenlang nicht, weil er sich auf irgendwelchen Tourismusmessen herum trieb und herzlich wenig dazu beitrug, dass der Laden in Marbach lief. Wenig los war auch in ihrem Liebesle ben, was daran lag, dass Ernesto ständig anderen Frauen hinterherlief. Keine Frage: In Mailand war er gut aufge hoben. Gianna versuchte, trotz des Stresses mit Erika Scharf an der Rezeption freundlich zu bleiben.
»Hör zu Ernesto, wir haben gerade einige Probleme. Ruf mich doch später wieder an.«
»Bene, bene, ciao«, antwortete der vertraute Anrufer, der sich an der Bar eines Hotels wieder seiner freund lichen Reisebegleiterin zuwandte. Die asiatische Mas seuse verbrachte gerade in einem Separee ihre Kern arbeitszeit mit ihm.
Gianna legte auf und blickte in das ernste Gesicht ihres Empfangschefs, Lothar Malchow. Der gelernte Butler, der mit seinem kurzen grauen Stoppelhaar schnitt sonst eher eine grabähnliche Grundruhe aus strahlte, wirkte ungewohnt angespannt. »Signora«, presste er hervor, »ich muss Ihnen leider etwas mit teilen. Die Polizei hat die Leiche dieses Herrn Scharf gefunden. Die Beamten werden gleich bei uns sein.«
Die Hotelchefin verdrehte die Augen, als ob sich im Empfangssaal die Deckentapete aufrollen würde: »Jetzt sterben einem auch noch die Hotelgäste weg.« Sie bemerkte, wie Erika Scharf aufmerksam wurde und sich ihr schnell näherte.
»Wissen Sie etwas Neues über meinen Mann?«
»Nein, es tut mir leid.« Gianna Signorini brachte es nicht übers Herz, ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes mitzuteilen. »Ich habe aber mit der Polizei gesprochen, jemand wird in Kürze hier sein, um mit Ihnen zu reden.«
In der Zwischenzeit hatte Norbert Rieker seinen Besuch im Golfklub endgültig beendet. Nachdem er über den Mar bacher Samstagsmarkt durch die Marktstraße geschlen dert war, ging er ins Rathaus, um noch einige Schriftstü cke zu lesen, die gestern liegen geblieben waren. Er öffnete die Post, die man ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte. Darunter befand sich ein größerer brauner Umschlag, der aus dem Stapel hervorragte. Rieker nahm ihn, konnte jedoch weder Adresse noch Absender entdecken. Verwundert zog er das einzige Blatt Papier aus dem Kuvert. Was er darauf las, erschreckte den Bürgermeister:
SCHULTES,
DU UND DIE ROTE BRAUT IM HOTEL
SODOM UND GOMORRHA
ICH WEISS ALLES
BALD AUCH ALLE ANDEREN KAUF DICH FREI:
HOLE ORIGINAL VON WILHELM TELL
AUS DEM LITERATURARCHIV
LEG ES AM SONNTAGABEND
UM 22 UHR IN DEN PAPIERKORB
AM HERMANNZANKERBAD
DEIN BESTER FREUND
Rieker lachte laut auf. Er hatte ja schon vieles auf die sem Schreibtisch liegen sehen. Das aber ging eindeutig zu weit. Jemand wollte ihn also erpressen. Gut, in einer kleinen Stadt wurde viel getratscht, vielleicht hatte da einer etwas aufgeschnappt, möglicherweise einer die ser Nachbarn, der die geplante Kulturbühne im Hotel garten verhindern wollte und ihn öfter in dem Gäste haus aus und ein gehen sah. Solange es jedoch keine Beweise gab, konnte er sich einigermaßen sicher füh len. Trotzdem
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