Schillerhoehe
DVDBörse im Lud wigsburger Forum umschauen. Seit einigen Jahren war er vergeblich hinter einer bestimmten Folge von Raum schiff Enterprise her. Er wollte die Hoffnung einfach nicht aufgeben.
Aus seiner Fototasche holte Luca seine Leica her vor. Er prüfte auf dem Display die Bilder, die er von der Lesung am Vortag gemacht hatte. Immer wieder war Erika Scharf zu sehen. Sie stand im Vordergrund, mal am Lesepult, mal bei der Ehrung, als sie von Bürgermeister Norbert Rieker einen riesigen Blumenstrauß bekam. Auch als Luca mit ihr zusammensaß, hatte er im Laufe des Abends einige Male abgedrückt; ohne Blitz, mit hoher ISOZahl, um den Hintergrund nicht zu ver masseln. Tatsächlich waren hinter der Schriftstellerin verschiedene Personen zu sehen. Eine Szene schaute sich Luca länger an. Ein älterer Herr in einem maus grauen Sakko überreichte dem Mann der Autorin mit ernster Miene einen kleinen Gegenstand. Es sah aus wie eine kleine Notiz oder ein Umschlag. Genau konnte er es auf dem kleinen Display nicht erkennen.
Luca legte den Apparat wenig später wieder in die Fototasche. Sein Blick verfinsterte sich. »Scheiße, der Blitz ist weg!« Er musste ihn während des Gesprächs mit Erika Scharf auf einen Stuhl gelegt und dort ver gessen haben. Es war nicht das erste Mal. Drei Mal war ihm das schon passiert: bei einer Vernissage in der Wen delinskapelle, bei einem Rockkonzert im JugendKul turHaus planetx und am Marbacher SBahnhof, als er frühmorgens Leute zur Streichung der Pendlerpau schale interviewt hatte. Luca betrachtete es als kleines Wunder, dass das BlitzGerät immer wieder auftauchte. Er musste auf dem Weg zum DVDForum unbedingt zum Schlosskeller fahren, um es zu suchen.
Im Schlosskeller traf Luca den Hausmeister Eduard Schulze, der die Stühle wegräumte. Schulze, eine wasch echte Berliner Schnauze, ließ sich nicht lange bitten und hielt ihm den Blitz triumphierend vor die Nase: »Watt mer nich in der Birne hat, det muss ma in de Beene ham«, kicherte er, bevor er einen Schluck Korn aus seinem Flachmann nahm.
Erleichtert verließ Luca Santos den Keller. Er atmete tief durch und beschloss, auf der Schillerhöhe noch die Statue des Dichters zu fotografieren. Zorn hatte neu lich geflucht, als er im Fotoarchiv vergeblich eine quer formatige Aufnahme suchte. Vor dem Deutschen Lite raturarchiv sah Luca zwei Polizeiwagen. Der Anblick weckte seinen Reportertrieb. Er ging zur Pforte und begegnete Ursula Pressdorf. Die Pförtnerin des Archivs erwies sich als Plaudertasche. Sie erzählte ihm sofort aufgeregt von dem Mord in der Handschriftenabtei lung. Dabei erwähnte sie auch den Namen des Opfers: Dietmar Scharf. Lucas Herz schlug schneller, als er sich diese Nachricht in der Montagsausgabe des Marbacher Kurier vorstellte. Ein Mord in den Kellern des Lite raturarchivs, das war der Stoff für die wirklich inter essanten Storys. Artikel, die Gustav Zorn und andere Redaktionsleiter gerne auf ihren Titelseiten präsentier ten. Luca witterte seine Chance: Wenn er einen Knüller abliefern wollte, musste er eine besonders engagierte Art der Recherche wählen. Er durfte nicht nur brav die vorgefertigten Statements der Polizeipressesprecher wiedergeben – er musste den Fall möglichst selbst lösen. Schließlich hatte er ein Foto, das ihn vielleicht direkt zum Täter führte. Fieberhaft überlegte er, wie er den Mann, der Dietmar Scharf den Umschlag überreicht hatte, identifizieren konnte. Luca brauchte einen Infor manten, der diesen Mann kannte, aber es musste jemand sein, der seine Recherche nicht durch Geschwätzigkeit verriet. Einer, der dichthalten konnte.
»Siegfried Derwitzer, na klar, wer sonst?«, murmelte Luca, als er einige Runden auf der Schillerhöhe schlen derte und seine Gedanken ordnete. Er rief Zorn an, informierte ihn über den Mord, der wohl so an die 100 Zei len hergeben würde. Der Redaktionsleiter schien froh, dass überhaupt jemand aus seinem Team das Verbrechen bemerkt hatte. Santos solle das Thema nicht zu reiße risch schreiben, schließlich orientierte man sich nicht an der BlitzZeitung und garantierte für die Richtigkeit der Fakten. Zorn legte Wert darauf, dass der Bürgermeister zu Wort kam und möglichst sein großes Bedauern über das tragische Verbrechen äußern konnte.
»Sie werden ihm schon die richtigen Worte entlo cken«, meinte Zorn. »Mit der Polizei setze ich mich selbst in Verbindung, um den
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