Schillerhoehe
Stand der Ermittlungen bis zum Redaktionsschluss am Sonntagabend abzufra gen.« Zorn erhoffte sich davon nicht viel, doch gehörte zu einem anständigen Artikel wenigstens, den Versuch zu schildern, damit der Leser erkannte, dass man am Ball geblieben war.
Peter Struve öffnete die Packung mit den Matjes heringen. Die Kartoffeln lagen unverändert im Kochtopf. Von Marie fehlte jede Spur, vielleicht war sie nach dem Fri seur noch in einen der vier Großbottwarer Supermärkte gegangen, die es neuerdings in dem 8.000Einwohner Ort gab. Immer nur in der Markthalle die Lebensmittel zu holen, konnte auch für eingefleischte Steinheimer auf Dauer ziemlich eintönig sein, fand Struve. Er war nach den Recherchen am Vormittag erst einmal nach Hause gefahren, um sich zu stärken. Die Kochplatte stellte er auf Stufe drei. Die neue Kollegin sah ja ganz adrett aus, das würde ihr bestimmt so manche Tür öffnen. Und sie ließ sich nichts gefallen. Na, in unserem Beruf keine so falsche Eigenschaft, überlegte der Kommissar, während er den ersten Hering verspeiste und nebenbei im Sportteil des Marbacher Kurier blätterte. Littmann, die ser Dilettant, hatte die Förster schnurstracks zur Scharf geschickt. Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, ihr einfach seine Handynummer zu geben. Aber Littmann schien sich in Sachen Kommunikationstechnik immer noch in den 80erJahren zu bewegen.
Struve holte sich etwas Schwarzbrot und beschmierte es dick mit Butter. Ob es so etwas in Mexiko gab? Er dachte an die Urlaube in Südeuropa. Das Weißbrot dort hing ihm schon am dritten Tag zum Halse raus. Was könnte er Marie als Alternative anbieten? Ein Freund hatte ihm von seiner KanuTour in der Mecklenburgischen Seen platte erzählt. Vielleicht sollte er mit seiner Frau mal pro beweise auf dem Neckar paddeln, in Marbach gabs doch auch den Kanuklub. Er musste es schaffen, noch einige kulturelle Höhepunkte in die Reise einzustreuen, um Marie bei der Stange zu halten. Hatte dieser Bildhauer Ernst Barlach nicht irgendwo da oben gelebt? Im Inter net würde er schon fündig werden.
Auf dem Weg zum Kühlschrank hielt Peter Struve vor dem Wandspiegel inne und betrachtete sich. Er hielt sich für einigermaßen attraktiv, aber er musste sich ein gestehen, dass die Jahre nicht spurlos an ihm vorbeige zogen waren. Er ignorierte seinen Bauchansatz und tas tete die kahlen Stellen an der Vorderseite seines Kopfes ab. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr die Frage gestellt, ob Frauen auf sein Äußeres abfuhren. Solche Gedanken passten nicht in seine tägliche Arbeit, bei der es auf Fakten und die richtigen Schlussfolgerungen ankam. Natürlich spielten Gefühle eine wichtige Rolle, wenn Tatverdächtige auf ihre Motive abgeklopft werden mussten. Die Förster hat es ja gleich auf die Scharf abgesehen, dachte Struve und lächelte. Er glaubte jedoch nicht, dass die Schriftstel lerin etwas mit dem Mord zu tun hatte. Nahezu alle Indi zien sprachen dagegen: die Pfeile, der Keller, überhaupt die ganzen Umstände ihres Aufenthaltes im Literatur städtchen Marbach passten nicht zu einer Beziehungstat. Natürlich musste man prüfen, wie es um die Ehe gestan den hatte. Das würde er seiner jungen Kollegin überlas sen. Sollte sie sich nur ihre Hörner abstoßen.
Struve gab den kochenden Kartoffeln noch zehn Minuten, da klingelte sein Handy.
»Die Kollegen der Spurensicherung suchen Sie, wo stecken Sie denn?«
Es war die nervige Stimme Littmanns, der es heute wohl mal wieder auf ihn abgesehen hatte.
»Na endlich«, konterte Struve. »Hab schon gedacht, die wären heute alle im Freibad.«
Littmann kicherte in den Hörer. »Genau da werde ich in zwei Stunden sein, bei der Hitze. Ich wünsche Ihnen noch viel Spaß beim Lösen des Falles. Sollte danach noch etwas sein – Maier übernimmt die Zent rale. Ciao, Struve.«
Wenig später schnappte sich der Kommissar die Autoschlüssel. Die Kartoffeln würde er heute Abend essen, schön mit Butter, Salz und Pfeffer. Vielleicht genehmigte er sich dazu ein echtes Marbacher Bier. Nachschub holte er sich immer samstags bei einem Pri vatbrauer in den Holdergassen. Danach ging er meis tens mit Marie auf dem Markt einkaufen. Er mochte die Atmosphäre dort, oft tranken sie dann noch einen Cappuccino beim Italiener am Torturm.
Die Leiche von Dietmar Scharf war bereits abtrans portiert worden. Die Obduktion würde den genauen Todeszeitpunkt erbringen. Werner
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