Schillerhoehe
Boot zu haben. Er wollte sie nicht mit Kleinkram zumüllen, aber sie konnte ihm vielleicht den Teil der Recherche abneh men, in dem er als wenig belesener Realist in gewohn ten Bahnen dachte.
»Hätten Sie nicht Lust, mit mir ein Tässchen Cap puccino zu trinken?«, fragte er sie. »In Marbach gibt es ein ganz nettes Eiscafé. Ich lade Sie ein.«
Melanie Förster schaute überrascht und etwas gereizt drein. »Ja, okay, ich bezahle aber selbst.«
Das Gespräch im Eiscafé Silvana, in Sichtweite des Marbacher Torturms, begann Struve mit einer Entschul digung. »Wissen Sie, Frau Förster, zu meinen Schwä chen gehört es, auf neue Situationen nicht gerade flexibel zu reagieren. Wir Westfalen wirken auf die Schwaben immer etwas ungehobelt und direkt, deshalb möchte ich Sie um Verzeihung bitten wegen der Sache mit Frau Scharf vorhin.«
Die junge Kommissarin rührte ruhig ihren Cappuc cino um. Sie wusste nicht genau, wie sie die Entschul digung auffassen sollte. Ihr Gegenüber hatte nicht nur viel mehr Dienstjahre auf dem Buckel, sondern auch einige Sterne mehr auf der Schulter. Wäre er mit ihr nur privat bekannt und hätte sie so auflaufen lassen wie bei der Scharf, würde sie ihn noch ein bisschen zappeln las sen. So aber wollte sie möglichst professionell reagie ren und das Gespräch einfach fortsetzen.
»Was halten Sie von der Scharf, Herr Kollege?«
»Peter. Nennen Sie mich doch einfach Peter. Also, ich glaube, sie hats jetzt nicht ganz leicht.«
»Meinen Sie nicht, sie könnte mit drinhängen, Herr Struve?«
Der Kommissar setzte seine Tasse ab. Er wäre gerne von ihr mit dem Vornamen angesprochen worden, aber er verstand ihre Vorsicht. Schließlich hatten sie sich beim Erstkontakt nicht gerade von ihrer Schokoladen seite präsentiert. Mit Marie redete er öfter über missglückte Begegnungen im Alltag. Sie hatte ihm nach ihrer Lektüre eines DalaiLamaBuches einige Tipps gege ben, wie er mit solchen kleinen Verletzungen umge hen könnte: Der Schlüssel lag immer im Mitfühlen. Wenn er sich fragte, welchen Grund der andere hatte, ihn negativ zu behandeln, konnte er die Kraft aufbrin gen, es als eine Art Missgeschick aufzufassen. Dann schaffte er es, schnell zu verzeihen. Das probierte er jetzt und konnte sich dabei tatsächlich etwas entspan nen. Darüber vergaß er aber nicht, auf ihre Frage zu antworten: »Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, ob Frau Scharf tatverdächtig ist«, gestand er. »Möglich, dass der Anschlag ihr galt.« Die Pfeile hatten den um etwa 20 Zentimeter längeren Ehemann eher im Unter körper getroffen.
Struve schloss eine Beziehungstat nicht aus, er hielt sie aber auch nicht für wahrscheinlich: »Die Frau kann ein solches Mordwerkzeug nicht selbst bauen«, gab er zu bedenken, »aber vielleicht steckt sie mit dem Täter unter einer Decke, hat ihn womöglich angestif tet – wir brauchen also Informationen über die Ehe der Scharfs.«
»Warum soll eine Frau kein technisches Geschick haben?«
»Wenn Sie wollen, können Sie das herausfinden«, antwortete Peter Struve unwirsch. Er fand seine Kol legin trotz aller buddhistischen Vorsätze irgendwie anstrengend. Immer hatte sie ihre eigene Position, die sie der seinen kompromisslos entgegenhielt. Er kannte das von Marie, aber im Laufe ihrer zehnjährigen Beziehung hatten sich diese Wogen glücklicherweise geglättet. Er wusste, dass man gemeinsam nur weiterkam, wenn man ein paar Übereinstimmungen erzielte und korrigierte deshalb seinen Ton. »Frau Förster, ich finde Ihren Vorschlag sehr gut. Was halten Sie davon, wenn wir uns die Arbeit teilen: Sie bleiben an Erika Scharf dran und versuchen etwas über das Umfeld von Dietmar Scharf herauszufinden – ich übernehme den Literaturbetrieb. Es würde mich nicht wundern, wenn in beiden Bereichen einige Leute Dreck am Stecken haben.«
Melanie Förster dachte kurz nach, dann willigte sie ein. Ihr schwebte eine aufregende Dienstreise nach Ber lin vor, dort könnte sie im Archiv der BirthlerBehörde stöbern. Es wäre doch gelacht, wenn sich nichts über die Rolle der Scharfs im Arbeiter und Bauernstaat fin den ließe. Gut möglich, dass die Staatssicherheit Buch geführt hatte und pikante Details aus der Vergangen heit zum Vorschein kämen. Das bedeutete wahrschein lich viel Lesearbeit. Aber schon auf der Polizeiakademie hatte sie bewiesen, dass wissenschaftliches Arbeiten zu ihren
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