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Schillerhoehe

Schillerhoehe

Titel: Schillerhoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schaewen
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Fragen nicht ersparen. Das ist mein Job.«
      Die Schriftstellerin streifte an einem kleinen Plastik­ aschenbecher ihre Zigarette ab. Der Kommissar öffnete ein Fenster: »Ich darf doch? Es ist so stickig.« Er mochte keinen Zigarettenqualm, und er war froh, dass es inzwi­ schen auf dem Polizeirevier in Bietigheim ein Rauchver­ bot gab. Der unangenehme Geruch kalter Asche drang überallhin.
      »Was ist mit Dollinger?«, fragte er sie unvermittelt. »Glauben Sie wirklich, dass es ihm leidtut, dass Ihr Mann tot ist?«
      »Er hat es zumindest gesagt. Mir ist auch nicht bekannt, dass die beiden irgendwelche Differenzen hätten.«
      »Vielleicht hat Dollinger doch mit Ihrem Mann über Ihren Nachlass gesprochen. Gehen wir mal vom schlech­ testen Fall aus. Er hat gemerkt, dass er bei ihm nicht wei­ terkam. Trauen Sie ihm einen Mord zu?«
      Erika Scharf nahm einen tiefen Zug von ihrer Ziga­ rette. »Dazu kenne ich ihn zu wenig. Ich glaube, dass er sehr viel für den Ruf seines Hauses tut, aber jeman­ den ermorden – nee, nie und nimmer, dazu ist der viel zu vernünftig.«
      »Hat er den Nachlass in dem Gespräch vorhin erwähnt?«
      Erika Scharf drückte ihre Zigarette aus. »Er wäre ganz schön dumm, wenn er es getan hätte.«
      »Wie kommen Sie darauf?«
      »Weil er damit rechnen müsste, dass ich es Ihnen erzähle.«
      »Aha, würden Sie es mir denn erzählen?« Struve machte das Fenster wieder zu und musterte sie mit stechendem Blick.
      »Warum nicht? Sie wollen mir ja schließlich helfen und den Mörder fangen.«
      Erika Scharf trat direkt vor ihn, ihre Gesichtszüge wirkten nun härter, ihre Stimme vibrierte. »Dietmar hat mich zwar betrogen, aber ich habe ihn immer noch geliebt.«
      Struve hielt ihrem Blick Stand. Liebe kann blind machen, dachte er, sprach es aber nicht aus. »Hatte Ihr Mann Feinde?«
      »Feinde?« Sie hatte die Augenbrauen nach oben gezogen. »Wissen Sie, Herr Struve, in den Kreisen, in denen wir früher gelebt hatten, gab es keine Feinde, und erst recht keine Freunde. Es gab vielleicht Menschen, denen man etwas weniger misstraut hat als anderen. Es waren alles, sagen wir mal, natürliche Gegner. Der eigentliche Feind, der saß ganz weit weg, der war ganz oben, irgendwo im Staatsapparat oder im Politbüro, und wenn man Glück hatte, ließen die einen in Ruhe. Aber, wenn Sie so wollen, es gab genug Leute, die einen verpfeifen konnten, weil sie für die Stasi arbeiteten.«
      Struve ließ sie erzählen. Auch wenn die alten Geschich­ ten aus der DDR für die Ermittlungen nichts Handfes­ tes hergaben, war er neugierig, etwas von der damaligen Gespaltenheit der Menschen zu erfahren. Er hatte seit dem Fall der Mauer bereits viel über den Stasi­Apparat gehört. Welche Rolle aber spielte diese Vergangenheit im vorliegenden Fall?
      »Frau Scharf, ich will ehrlich sein: Wir halten dem ersten Anzeichen nach eine Art Tyrannen­Mord im Sinne von Schillers Wilhelm Tell für nicht ausgeschlos­sen. Ihr Mann könnte in den Augen des Täters der Tyrann sein. Hatte Ihr Mann Gegner, die in der jüngs­ ten Zeit in Erscheinung getreten sind?«
      Erika Scharf setzte sich wieder. »Ich wollte, ich könnte es Ihnen sagen, Herr Kommissar. Aber Diet­ mar und ich, wir waren in allem so«, sie rang nach Wor­ ten, »frei. Ja – wir fühlten uns frei, besonders nach der Wende. Natürlich haben wir überlegt, ob ich die Vor­ arbeiten zu meinem großen Roman abschließen und ihn sofort veröffentlichen sollte, aber … er hat mir immer gesagt: ›Erika, warte noch ein Weilchen, dann wirds richtig gut …‹ na, und recht hat er gehabt.« Sie nahm ein Taschentuch und wischte sich Tränen aus dem Gesicht. »Verstehen Sie, mir kam es vor, als ob mich die Leute im Westen erst jetzt richtig verstehen können. Und er hat das den Verlagen und Buchhändlern hier vermitteln können. Er war so … fürsorglich zu mir.«
      Struves Blick schweifte zur Tür. Er wusste, sie brauchte noch etwas Zeit.
      »Ich kann verstehen, dass Sie noch immer sehr geschockt sind. Rufen Sie mich bitte gleich an, wenn Ihnen noch Dinge zu Ihrem Mann einfallen.« Struve bat sie außerdem, den Großraum Stuttgart während der nächsten 24 Stunden nicht zu verlassen.

    8

    Die Abende daheim auf der Terrasse verschafften dem Bürgermeister Norbert Rieker nur wenig Entspan­ nung. Als Workaholic kam er ungern zur Ruhe. Sich mit seiner Frau zu unterhalten, erschien ihm im Laufe der Jahre immer

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