Schillerhoehe
schütteln. Der FPUKreisvorsitzende Kurt Wiedenhopf begrüßte ihn freundlich:
»Endlich hat es mal geklappt, bei euch in Marbach.«
Rieker lächelte: »Sagen wir mal so: Jede Partei bekommt das, was sie verdient. Die FPU muss nicht in Oberriexingen tagen.«
»Na, na, na, mein lieber Rieker«, feixte der Politiker, der aus ebenjenem Ort an der Enz stammte. »Rielings hausen ist aber auch nicht gerade der Nabel der Welt.«
Beide lachten.
Bald darauf begann der Parteitag. Rieker sprach ein Grußwort, kündigte bei dieser Gelegenheit gleich an, sich später noch einmal zu Wort melden zu wollen, denn alte Zöpfe müssten abgeschnitten werden, solange die Frisur als Ganzes noch vorzeigbar ist. Ein Raunen ging durch die Reihen der etwa 120 Delegierten. Was er damit meine, wolle er bei der Aussprache über die Situ ation im Nahverkehr des Kreises erläutern, ergänzte Rieker mit süffisanter Miene.
Der nachfolgende Redner, Kurt Wiedenhopf, beschei nigte der Stadt Marbach eine tadellose Gastfreundschaft, auch wenn man in Rielingshausen hart an die Grenze des Kreises Ludwigsburg geführt werde und sicherlich um diese Zeit nicht gerade Bahn und Bus benutze, um an und vor allem wieder abzureisen.
Als erster Redner stieg dann der Bundestagsabge ordnete Steinhorst aufs Podium. Er schien sich nicht besonders gut vorbereitet zu haben, denn sein Abriss über die Erfolge in den vergangenen dreieinhalb Jahren klang aus lokaler Sicht wenig mitreißend. Er sprach von den Finanztöpfen Berlins und Stuttgarts, die bis in den Landkreis hinunter wirksam geworden seien. »Schließlich fährt demnächst die Stadtbahn von Mar bach nach Beilstein«, meinte er. Allerdings müsse man sehen, dass die Autoindustrie als Motor der Wirtschaft in unserem Raum eine weitaus stärkere steuerliche För derung als bisher verdient habe. Es gehe nicht an, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und gleichzeitig die Autoindustrie zu schröpfen. Mit diesem Plädoyer traf Steinhorst offenbar den Nerv seiner Zuhörer, die laut applaudierten.
»Mag jemand dazu das Wort ergreifen?«, fragte Wie denhopf ins Plenum.
Norbert Rieker hob den Arm und stand auf.
»Ich finde, Herr Steinhorst belügt uns mit jedem Wort.«
Ein kurzer Moment der Stille setzte ein, dann ging erneut ein Raunen durch die Reihen der Delegier ten. Rieker hörte Aussprüche wie ›ungehobelter Ton‹, ›Frechheit‹ oder ›ein Skandal‹. Aber das Stadtoberhaupt legte nach, redete sich in Rage. »Herr Steinhorst, Sie Verkehrsdilettant, Sie BerlinFuzzi, Sie wollen uns weis machen, dass der Individualverkehr eine Super sache ist – da sag ich nur: Hunde, wollt ihr ewig durchs Ländle gondeln und Kohlendioxid rausballern? Der Klimakollaps kommt, und die Autoindustrie fährt mit altbackenen Konzepten in die Zukunft. Doch nicht mit uns, oder?« Rieker legte eine kleine Pause ein, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen. Er sah einen amü siert lächelnden Steinhorst, einen entsetzt dreinbli ckenden Wiedenhopf und eine Reihe von Abgeordneten, die aufstanden und ihm aus der Ferne mit der Faust drohten.
»Steinhorst, was lachen Sie so blöd? Kommen Sie runter von Ihrem fetten DaimlerDienstwagen und sagen Sie uns endlich, wie ihr in Berlin die vielen Steuer gelder verplempert, die unsere Bürger euch Berufspoli tikern in den Arsch schieben müssen.«
Wieder ging ein Raunen durch die Reihen. Der Pres severtreter schrieb fleißig mit. Rieker erkannte Gustav Zorn, der seinen Fotografen offenbar anwies, ihn von der Seite abzulichten. So wären nicht nur er, sondern auch die empörten Gesichter und vor allem das Kon terfei des immer noch amüsiert dreinschauenden Stein horsts auf dem Bild zu sehen.
Der Bürgermeister war trotz der sich abzeichnenden Tumulte jetzt nicht mehr zu bremsen. »Kein Wunder, dass wir in den Städten und Gemeinden kaum noch Geld haben, wenn wir von dir und deinen gedanken losen BerlinYuppies ständig geschröpft werden. Wenn wir im Gemeinderat in Marbach das machen würden, was ihr da ständig im Bundestag abzieht, würden wir alle im Neckar ertränkt!«, rief er, und er schloss seine Rede mit den Worten: »Wenn die FPU endlich wie der einen bürgernah denkenden Bundespolitiker in ihren Reihen haben will, der in der Region verwurzelt ist, wählt mich – und schickt Steinhorst endlich in die Rente. Der hat sich schon genug Diäten einverleibt.«
Im Saal herrschte
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