Schillerhoehe
Dag mar Weller. »Ein Nachbar will durchs Fenster gesehen haben, wie sich die beiden Scharfs nachts heftig gestrit ten haben. Sogar Geschirr ging zu Bruch.«
»Wie es in den besten Familien schon mal vorkommt«, scherzte Struve.
»Das da war wohl nicht der übliche kleine Zwist«, bemerkte die Kollegin. »Der Nachbar ist ins Detail gegangen. Er habe gehört, wie Erika Scharf etwas Ähn liches wie ›dann geh doch zu der Schlampe‹ gesagt hätte. Die Fetzen müssen ziemlich geflogen sein. Danach ist er weggefahren und erst am nächsten Tag wiederge kommen.«
»Wann war das, Dagmar?«
»Vor etwa einer Woche.«
Das erklärte möglicherweise, warum Dietmar Scharf im Hotel auf der Schillerhöhe ein eigenes Zimmer hatte. Sie hatte ihn ja erst am nächsten Morgen als vermisst gemeldet. Es sah danach aus, als ob die gehörnte Ehe frau ein Tatmotiv hatte. Tells Apfel als Freiheitssymbol für alle Betrogenen? Was Struve angesichts der tech nisch aufwendigen Selbstschussanlage jedoch zu den ken gab: Ohne einen Komplizen konnte sie einen sol chen Mord nicht verüben. Wer aber hatte ein Inter esse, bei einem Ehedrama den Killer zu spielen? Wenn überhaupt, konnte es nur ein Profi sein. Struve dachte minutenlang an diese Möglichkeit, sein Blick fiel aufs Marbacher Bahnhofsgebäude, hinter dem eine SBahn einfuhr. Was wäre, wenn Erika Scharf mit dem Mord an ihrem Mann nichts zu tun hatte – welche Tatmotive kämen sonst überhaupt noch infrage? Er kritzelte mit einem Kugelschreiber auf einem Bierdeckel herum.
»Gibt es schon Erkenntnisse über die StasiGe schichten der Scharfs?«
»Leider noch nicht, die Sache läuft sehr schleppend«, erklärte Dagmar Weller. »Wir brauchen eine Genehmi gung, aber wie es ausschaut, ist der zuständige Behör denleiter erst am Montag wieder zu erreichen.«
»Das habe ich befürchtet. Versuchen Sie, ein bisschen Dampf zu machen. Und wenns sein muss, stören Sie den Alten morgen Vormittag bei seiner Golfpartie am Schloss Monrepos.« Er wusste, dass der Polizeipräsi dent Hans Kottsieper sich nicht gerne bei seinem Lieb lingshobby unterbrechen ließ. »Er wird Ihnen schon nicht gleich den Kopf abreißen.«
Peter Struve stieg in seinen VW Passat und fuhr schnur stracks zum Hotel auf der Schillerhöhe. Er klopfte an Erika Scharfs Zimmertür. Niemand öffnete, hinter der Tür rührte sich nichts. »Frau Scharf, hier ist Struve, öffnen Sie bitte.«
Wieder regte sich nichts. Der Kommissar stemmte sich mit seinem Gewicht gegen die Zimmertür, die sich im selben Moment öffnete. Da er Anlauf genommen hatte, rannte er hinein und rammte mit dem linken Schienbein die Bettkante. »Aua, verdammt!«, brüllte er. Erika Scharf stand mit verwundertem Gesicht vor ihm.
»So schnell habe ich Sie nicht zurückerwartet.«
»Das nächste Mal nehme ich gleich das Megafon!«, raunzte Struve. Ihm war nicht nach Scherzen zumute. Sein Schienbein schmerzte höllisch.
»Entschuldigen Sie, ich war auf der Toilette.«
»Schon gut, jetzt aber zur Sache, Frau Scharf: Sie haben mir verschwiegen, dass Ihr Mann eine Geliebte hatte.«
Der Blick der Schriftstellerin glitt an ihm vorbei in die Ferne. »Das haben Sie aber schnell herausbekommen.«
»Es wäre noch schneller gegangen, wenn Sie mit mir kooperiert hätten.«
»Ich wollte nicht, dass sein Name in den Schmutz gezogen wird.«
»In den Schmutz gezogen, dass ich nicht lache«, hielt ihr Struve entgegen. »Sie selbst machen sich hochgradig verdächtig, wenn Sie so etwas verschwei gen.«
»Wirklich? Das wusste ich nicht.«
Sie spielt die Naive, dachte Struve. »Kennen Sie Charlotte Hajak?«
»Eine bekannte Journalistin des Nachtspiegel.«
Das hätte ich jetzt an ihrer Stelle auch gesagt, dachte er. »Wo waren Sie gestern zwischen Mitternacht und 3 Uhr?«
»Auf meinem Zimmer, die Lesung und das Drum herum hatten mich ziemlich angestrengt.« Erika Scharf zündete sich eine Zigarette an. »Ich hörte seine Tür gegen 1.30 Uhr, ich dachte, er macht noch einen Spa ziergang und will frische Luft schnappen.«
»Kann jemand bestätigen, dass Sie Ihr Zimmer nicht verlassen haben?«
»Nein, es war niemand bei mir.« Nach einem Moment des Schweigens blickte sie ihn an: »Sie denken doch nicht ernsthaft, dass ich meinen Mann ermordet haben könnte?«
»Um ehrlich zu sein, nein, Frau Scharf. Trotz allem kann ich Ihnen unangenehme
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