Schillerhoehe
Augenwinkeln zu wischen.
Der Kommissar machte sich Notizen. »In der Presse sind die Orte Frankfurt und Marbach genannt worden. Halten Sie es für möglich, dass Ihr Mann die Verhand lungen ohne Ihr Wissen vorangetrieben hat?«
»Nein, das hätte er mir bestimmt gesagt, ich habe ihm in allem Geschäftlichen vertraut.«
Peter Struve stutzte. Er fand es ungewöhnlich, dass Erika Scharf als Schriftstellerin etwas derart Persönli ches wie das Schicksal ihrer Manuskripte völlig aus der Hand gab. Dann kam sie nach Marbach in die Hoch burg der Literaturkonservierung und wusste offenbar nicht, welche Geschäfte ihr Mann mit ihrem Eigentum trieb. Merkwürdig – selbst wenn sie noch nichts ent schieden hatte. Die Zeitungen berichteten jedenfalls fleißig. Mit jeder noch so spekulativen Zeile würde der Wert des Nachlasses steigen. Struve hielt es für mög lich, dass die Scharfs die Berichte selbst lanciert hat ten und das Spiel mit der Öffentlichkeit so weit trie ben, dass sie am Ende fürstlich entlohnt würden. Oder gab es einen Mister X, der aus einer solchen Strategie als Gewinner hervorging? Jemand, der am Ende nicht mehr mitspielen wollte, aus den unterschiedlichsten Gründen?
»Ist Sven Dollinger persönlich auf Sie zugekommen, um mit Ihnen die Nachlassfrage zu besprechen?«
»Nein, wir haben uns vorhin zum zweiten Mal gese hen nach gestern Abend. Er ist bei mir gewesen, um mir sein Beileid zu bekunden.«
Struve zeigte auf die schwarzen Abendkleider, die auf dem Bett lagen. »Hat er Sie zum Essen eingeladen?«
Erika Scharf stand auf und ging zum Fenster. »Sie verstehen sicher, dass ich jetzt allein bleiben möchte, Herr Struve. Haben Sie noch Fragen?«
Struve stand auf. »Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Sie sich nach dem Tod Ihres Mannes nicht wohl fühlen, Frau Scharf.« Er holte seine Visitenkarte aus der Brieftasche und überreichte sie ihr. »Falls Sie mir etwas Wichtiges mitteilen möchten oder ein Problem auftritt, können Sie mich jederzeit anrufen.«
Erika Scharf blickte ihn lange an. »Danke«, sagte sie und gab ihm zum Abschied die Hand.
Struve drückte die Türklinke nach unten. »Tun Sie sich heute Abend etwas Gutes.« Er ging nach drau ßen zu den Kollegen in Zivil. »Passen Sie auf sie auf, es könnte sein, dass sie heute Abend ausgeht. Bleiben Sie auf jeden Fall dran.«
Inzwischen war es Abend geworden und Struve über legte, ob er sich an der Dönerbude am Bahnhof einen Imbiss gönnen sollte. Er wollte auch das Gespräch mit Melanie Förster suchen. Sein Gefühl sagte ihm aber, dass sie noch sauer war und einen Anruf als aufdringlich empfände. Bestimmt brauchte sie noch etwas Zeit, um sich über ihre und seine Macken im Klaren zu sein.
An der Dönerbude bestellte sich Peter Struve ein alkoholfreies Bier und eine große Portion Pommes frites mit Ketchup und Mayo. Die rotweiße Fett bombe spülte er mit einem Magenbitter herunter. Sollte Marie doch in Erdmannhausen ihren Film anschauen. Er mochte es, an manchen Abenden einfach allein zu sein. Hatte er einen Fall, so wie heute, nutzte er die Zeit, um seine Eindrücke zu verarbeiten. Außerdem wollte er zu Hause den Tell zu Ende lesen.
Sein Handy klingelte.
»Ja, hier Struve.«
Es war Dagmar Weller, eine Kollegin von der Mord kommission in Stuttgart. Sie hielt den Kontakt zu den Beamten, die in anderen Städten ermittelten.
»Es gibt ein paar interessante Neuigkeiten aus Ber lin.«
»Ach, sagen Sie nur.«
»Der Scharf hatte eine Geliebte.«
»Aha. Wer ist es?«
»Eine gewisse Charlotte Hajak, Journalistin, 36 Jahre. Wohnt in Dahlem, arbeitet für den Nachtspiegel im Feuilleton und hat Scharf dadurch kennengelernt.«
»Wie zuverlässig ist das, was Sie mir da so nett erzählen?«
»Es gibt keinen Zweifel: Die Kollegen haben in Scharfs persönlichem Umfeld ermittelt. Da er tot ist, fühlte sich ein Freund nicht mehr verpflichtet zu schweigen. Und Charlotte Hajak muss über den Tod ihres Geliebten so schockiert gewesen sein, dass sie den Berlinern gleich alles erzählt hat.«
»Gute Arbeit, Dagmar«, lobte Struve. »Haben die Kollegen auch herausgefunden, ob Erika Scharf etwas von dem Verhältnis wusste?«
»Nein.«
»Somit können wir nichts darüber sagen, wie Erika Scharf und ihr Mann tatsächlich zueinander standen«, dachte Struve laut.
»Es gibt noch einen wichtigen Hinweis«, sagte
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