Schillerhoehe
im Pulk, Hunderte von Metern entfernt. Sie fühlte sich einsam und von Luca getrennt und wäre am liebsten zu ihm auf die Bühne geklet tert. Aber sie kam nicht vorwärts. Die Fans bilde ten eine dichte Kette, ihre Beine fühlten sich schwer und unbeweglich wie Betonpfeiler an, und als sie wie der auf die große Videoleinwand blickte, um Lucas Gesicht zu sehen, da war er weg, wie vom Erdboden verschluckt. Julia geriet in Panik und wachte auf. Es war mitten in der Nacht, Caroline schlummerte tief und fest. Zwar schlief sie dann auch irgendwann wie der ein, doch spürte sie beim Aufwachen immer noch die Traurigkeit in sich. Am Frühstückstisch erzählte Julia der Freundin von ihren nächtlichen Gefühlen. Caroline versuchte sich grinsend an einer Interpretation: »Vielleicht solltest du mehr Musiker kennenler nen, um deine Träume zu leben.«
Das stimmte. Julia hatte ja wirklich das Gefühl, dass in ihrem Leben flippige Aktionen zu kurz kamen. Vor ein, zwei Jahren war sie mit Luca noch zum FKK Strand an einen See in der Nähe von Vaihingen gefah ren. Aber in diesem Sommer kannte er nur die Arbeit für diese Zeitung. Und jetzt umgarnte sie dieser Ralf – mit einem Charme, der sie ziemlich verzauberte. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber er war ihr Typ. Auch Luca war ihr Typ, zumindest wenn er da war. Julia musste lachen und verschüttete prustend die halbe Ladung Milchkaffee aus ihrer vollen Tasse.
Plötzlich klingelte ihr Handy. Das Display meldete einen unbekannten Anrufer. Sie hatten sich für heute nichts vorgenommen, aber sie wusste, dass Luca eigent lich frei hatte – was nichts bedeuten musste, denn der Marbacher Kurier brauchte eigentlich zu jeder Tag und Nachtzeit Reporter. Eine Erfahrung, die sie leider schon viel zu oft hatte machen müssen. Einmal hatten abends draußen die Sirenen geheult, als sie die Zwei samkeit genießen wollten. Luca zögerte keine Sekunde, sprang zum Handy, rief bei der Feuerwehr an, streifte seine Jeans über und fuhr los. Am Ende stellte sich her aus, dass der vermeintliche Großbrand beim örtlichen Hauptindustriellen an der Erdmannhäuser Straße ledig lich ein harmloser Kurzschluss mit geringer Rauchent wicklung war. Stinksauer war sie damals, aber auch das hatte sie ihrem Geliebten verziehen, der ihr immerhin einen Strauß Gladiolen vom Termin mitbrachte.
»Ich bins«, hörte sie eine Stimme am Telefon, die nach Ralf klang.
»Hallo, Ralf«, sagte sie. »Woher hast du meine Num mer?«
Ralf hatte die Nummer von Caroline. Aber das wollte er nicht verraten. »Och, ich dachte, es ist okay, wenn ich sie vorsichtshalber einspeichere, gestern war es so dunkel.«
Caroline blickte etwas verlegen über den Frühstücks tisch.
Julia musste schmunzeln.
»Habt ihr alles im Griff da draußen in Höpfig heim?«
»Ja, klar. Jeder Griff ist ein Riff«, scherzte Ralf. »Wir haben uns auch deshalb beeilt, weil wir diesen schönen Tag nicht ohne eure Gesellschaft ertragen können.«
Sie hörte Hartmut im Hintergrund eine Art Urschrei ausstoßen.
»Wo steckt ihr jetzt?«
»Na, wo schon? Auf dem Weg zu euch, haha.«
Julia zuckte zusammen.
»Sagt mal, seid ihr denn nicht müde?«
»Wie könnten wir müde sein, wenn ihr uns die Nacht habt durchwachen lassen.«
»Alles sehr schön«, sagte Julia, die sich schlagartig wieder an Hartmuts Kotzattacke erinnerte, »aber ihr habt nicht zufällig etwas genommen?«
»Hey, wir sind Abgeordnete der staatlichen Anti DrogenKampagne«, witzelte Ralf. »Die einzige Droge, die bei uns wirkt, seid ihr. Habt ihr heute Lust auf einen Kaffee?«
Julia hatte gewusst, dass er sich melden würde. Hin ter seiner coolen Fassade erschien er ihr ziemlich unver bogen. Dann dachte sie an Luca. Ralf sollte kein leichtes Spiel bei ihr haben. Bestimmt war jetzt ein guter Zeitpunkt, ihm die kalte Schulter zu zeigen, um seine Ernsthaftigkeit zu prüfen. Sie zwinkerte Caroline zu und behauptete: »Wir sind aber schon fast weg. Caro line und ich, wir haben heute keine Zeit. Am besten, ihr meldet euch die Woche noch mal.«
Caroline schüttelte energisch den Kopf und blickte grimmig. Julia nickte ihr aufmunternd zu und Ralf brachte kein Wort mehr heraus. Sie selbst dachte schon wieder an Luca. Und daran, dass er hoffentlich bald anrufen würde.
Wenig später war Luca tatsächlich am Apparat. Er könne leider die Verabredung mit ihr nicht
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