Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
nicht von Natur aus unter der Würde des Mannes, sich mit Frauenangelegenheiten abzugeben?“
Diese Bemerkung hinderte mich einen Augenblick lang am Einatmen. Wir Frauen starrten sie verblüfft an, und Jack sagte voller Inbrunst:
„Genau!“
Vier Augenpaare schickten kleine Blitze in seine Richtung, und er ging in Deckung.
„Die Kirche“, sagte Anette, „hat sich mit der Zeit ebenfalls verändert. Sie hat an Einfluss verloren, was ja auch bei euch schon zu sehen ist, nehme man nur das sich selbst verwaltende Krankenhaus als Beispiel. In unserer Zeit bestimmt die Kirche über gar nichts mehr. Die Menschen leben nach den Regeln des Christentums, auch ohne den Machtanspruch der Kirche. Wir sind nicht zu Heiden geworden, falls du das meinst. Aber Aussagen wie: ‚Das Weib sei dem Manne Untertan’ werden heftig diskutiert und selbst von hohen Kirchenmitgliedern nicht mehr praktiziert. Das Ganze ist nicht leicht zu erklären, es war ein langsamer Prozess, keine plötzliche Neuauslegung der Bibel.“
Anna nickte schweigend und schien überzeugt, dass man auch in unserer Zeit mit dem Segen Gottes lebte, trotz der offensichtlich verlotterten Sitten.
Die anderen kehrten themenmäßig wieder zurück zu reinen Frauenangelegenheiten, und ich bemerkte, wie Jack langsam die Gesichtszüge einschliefen.
Ich häkelte mit einer etwas ungelenken, hölzernen Häkelnadel ein Mützchen für klein Friedrich oder Frederike, und Jack löffelte noch immer seinen pampigen Brei. Er hatte sich eine Ladung braunen Zucker darüber gestreut. So würde mir das Zeug wahrscheinlich auch schmecken. Plötzlich erhob sich Jack.
„Irgendwie brauche ich dringend frische Luft. Ich gehe kurz nach unten.“
Das war nichts Ungewöhnliches für ihn. Luftschnappen gehen war ihm fast genauso ein Bedürfnis wie essen oder schlafen. Er küsste mich auf die Stirn, bevor er ging. Bestimmt hatte er genug gehört von zusammengezogenen Gebärmüttern und Hängebrüsten, verursacht durch plötzlichen Milcheinschuss. Ich widmete mich meiner Handarbeit. Hin und wieder beteiligte ich mich am Gespräch, doch es beunruhigte mich, dass Jack nicht zurückkam. Schließlich konnte ich das ungute Gefühl nicht länger ertragen und ging nachsehen. An der Treppe angelangt, überschaute ich alle Stufen und erstarrte vor Schreck.
Jack saß auf der untersten Stufe und lehnte mit herunterhängendem Kopf am Geländer. Ich rannte die Treppe hinab, wobei ich beinahe in meinen Röcken hängen geblieben und gleich neben ihm gelandet wäre.
„Jack! Was ist denn los?“
Er hatte die Augen weit geöffnet, murmelte etwas Unverständliches und hielt sich krampfhaft sein Herz. Ich erschrak zu Tode.
„Barbara!“, schrie ich und griff nach seiner Hand. Sie war eiskalt und lahm. Ich streichelte über seinen Kopf. „Nicht sprechen, Schatz. Bleib ganz ruhig“.
„Ich kann nicht atmen ...“, brachte er mühsam hervor.
„Oh, Gott, er bekommt keine Luft!“, rief ich. Ein Herzinfarkt? Wo blieb Barbara? „Barbara!“, schrie ich hysterisch.
Aber sie kam schon angelaufen, die anderen dicht hinter ihr. Sie überblickte die Lage kurz, sah Jack in die Augen, fühlte seinen Puls und sprach beruhigend auf ihn ein.
„Wir müssen ihn hinlegen“, sagte sie, und ich packte mit an. Wir legten ihn flach auf den Boden. Er atmete kurz und hektisch.
„Barbara, er verdreht die Augen, was hat das zu bedeuten?“, schrie ich sie an und fuhr mir mit beiden Händen durchs Haar. Ich ahnte das Schlimmste.
„Es bedeutet, er wird ohnmächtig. Anette, kannst du dich bitte um Isabel kümmern, sie stört mich“, sagte sie mit der Gelassenheit eines Profis.
Anette führte mich an den Schultern etwas abseits des Geschehens. Ich schluchzte hemmungslos. Was konnte man hier schon für ihn tun? Es gab keine Intensivstation, und der Arzt war ein blutrünstiger Metzger.
Jack war ohnmächtig. Barbara nahm die Hand nicht von seinem Puls, und Karin wurde damit beauftragt, ihre Hand auf sein Herz zu legen und jede Veränderung sofort zu melden. Inzwischen stand das ganze Personal mit aufgerissenen Mündern um uns herum, aber Anna scheuchte es zurück an die Arbeit.
„Fasst alle mit an, wir tragen ihn in sein Bett“, befahl Schwester Barbara.
Wir bugsierten ihn mühsam in unser Zimmer und legten ihn aufs Bett. Karin und Barbara überwachten weiterhin seine Lebenszeichen, und für mich gab es nichts zu tun, außer mit meiner Angst fertig zu werden.
„Sein Herzschlag wird unregelmäßig“, sagte Karin
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