Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
Butter.
„Keine Ahnung. Er hat mich nicht erkannt.“
Sie lachten schallend, und ich ließ mich davon anstecken.
„Mann, der muss sich ja einen gegeben haben“, vermutete Anette.
„Was macht er wohl, wenn du mal ein Kind bekommst?“
„Sich in Apfelwein ersäufen“, sagte ich, und wieder amüsierten wir uns.
Wir aßen, und Barbara berichtete, Anna und die Kleine seien wohlauf. Sie war die Nacht über bei ihr im Krankenhaus geblieben. Morgen würde Anna wieder nach Hause kommen. Erleichtert biss ich in mein Brot und freute mich schon darauf, das Baby auf den Arm nehmen zu dürfen.
Nach dem Frühstück ging ich mit Barbara nach Jack sehen. Er lag auf der Seite, zusammengerollt wie ein Baby. Vor seinem Bett stand der große Blecheimer. Er war halb voll, und ich entfernte ihn, wobei ich mir aus gegebenem Anlass die Nase zuhielt. Dann öffnete ich das Fenster, denn man hätte die Luft in Scheiben schneiden und auf einen Teller legen können. Barbara legte Jack ihre Hand auf die Schulter und sprach ihn leise an.
„Na, mein Großer, es scheint, du benötigst wieder mal meine Hilfe. Wie wäre es mit etwas Medizin, damit du wieder ein Mensch wirst?“
„Schrei doch nicht so!“
„Ich dachte immer, ein Indianer kennt keinen Schmerz“, bemerkte ich, und erntete einen tiefen Brummton.
Barbara schmunzelte.
„Sei ein braver Jack und schluck das hier.“ Sie hielt ihm einen Löffel mit einer Flüssigkeit vor den Mund.
„Was ist das?“, fragte er mühsam.
„Radix Liquiritiae“, sagte Barbara viel sagend.
„Ich will ein Aspirin.“
„Tut mir leid, das habe ich im Moment gerade nicht extrahiert, komm schon, mach den Mund auf“, sagte Barbara ungeduldig.
„Aber nur, wenn die Übersetzung nicht Brechwurz lautet“, sagte er, und wir lachten. „Gekotzt habe ich nämlich heute schon genug.“
Allerdings. Das Bett musste abgezogen werden. Wahrscheinlich war auch eine neue Matratze nötig.
„Süßholz“, sagte Barbara. „Das ist gut für deinen abgesoffenen Magen.“
„Ha. Ha“, sagte er schwach und öffnete den Mund. „Schmeckt nach totem Hund.“ Angewidert verzog er das Gesicht.
„Nur, wenn man keine Lakritze mag“, sagte Barbara.
„Ich hasse Lakritze.“
Das geschehe ihm recht, gab ich zu verstehen. Wir gingen aus dem Zimmer, damit er in Ruhe seinen Rausch ausschlafen konnte.
Gegen halb vier rappelte sich Jack hoch und nahm ein Bad. Dann kam er ins Wohnzimmer, wo literweise schwarzer Kaffee auf ihn wartete.
„Übrigens, Anna lässt dich herzlich grüßen. Ganze Arbeit, Jack“, sagte Barbara und hob den Daumen.
Jack grinste breit.
„Aber der Schnitt, na ja, einen Millimeter weiter, und Anna hätte ihr Leben lang Windeln tragen müssen.“
Jack wich das bisschen Farbe, das gerade wieder zurückgekehrt war, aus den Wangen. Ich tätschelte beruhigend seinen Arm.
„Ist ja gut gegangen, Schatz.“
Er entspannte sich.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen, was in mir vorging.“
Ich lächelte ihn an, meinen Helden, und wechselte das Thema, denn er hatte mir bereits zweimal die ganze Story erzählt, während ich seinen Rücken schrubbte, und ich musste ihm mehrfach meine Dankbarkeit versichern, dass er mir meine Existenz damit ermöglicht hatte. Doch jetzt beschäftigte mich etwas anderes, und ich konnte meine Ungeduld fast nicht zügeln.
„Wann gehen wir heim, Jack?“
Es hatte beiläufig klingen sollen, doch Barbara und er zuckten zusammen, wie von Nadeln gestochen.
„Am Mittwoch um drei Uhr fünfzehn“, sagte er ungehalten. „Ist das nicht der falsche Zeitpunkt für diese Frage? Eben erst hat sie das Kind bekommen. Willst du sie heute noch verlassen?“
Entgeistert starrte er mich an. Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg, und mein Herz begann zu klopfen. Etwas brodelte in mir hoch wie das Wasser in einer heißen Quelle, und ich war nicht mehr in der Lage, es zu beherrschen.
„Das hat doch keinen Sinn, Leute“, rief ich, langsam säuerlich werdend. „Jedes mal schiebt ihr es weiter weg. Sobald Anna zu Hause ist, werde ich mit ihr reden!“
Ich stand auf und lief aus dem Wohnzimmer, weil ich die Tränen der Wut und Enttäuschung nicht mehr unter Kontrolle bekam. Ich wollte endlich nach Hause. Ein richtiges Leben führen. Mit Jack. Eigene Kinder haben und all die Kleinigkeiten des Alltags mit ihm durchmachen. Dieses Leben hier erschien mir wie ausgeliehen. Rent-a-life-in-the-eighteenth-century.
Ich warf mich heulend auf mein Bett, wie es die Damen dieser
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