Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
hatte, und er vermutete, dass es sich dabei um die Nabelschnur handelte.
„Verdammt, willst du dich aufhängen?“, schrie er das Kind auf Englisch an.
Aber dem Kind war das egal, und es blieb einfach stecken. Nach zwei weiteren Presswehen reichte es ihm. Ich muss etwas unternehmen, dachte er gehetzt. Es gab eine Möglichkeit, Barbara hatte es erzählt, und ihm war fast schlecht geworden. Es kam ihm barbarisch vor, aber er musste es tun. Zögernd zog er sein Messer und betrachtete es, während er es in der Hand drehte. Es war sehr scharf, sauber, doch garantiert nicht steril, aber das Risiko musste er eingehen, wenn Anna eine Chance haben sollte. Ein Blick auf sie bestätigte ihm, dass sie es nicht bemerkt hatte, denn sie hatte ihre Augen seit der dritten Presswehe nicht mehr geöffnet. Gut so.
Die nächste Wehe kam, und er setzte behutsam das Messer an Annas Damm. Jetzt oder nie, dachte er und drückte das Messer in ihr Fleisch. Es floss fast kein Blut, und er wunderte sich kurz darüber. Anna hatte nicht mal geschrien, das Gewebe hatte wohl unter zu großem Druck gestanden. Gott sei Dank!
Barbaras Vortrag lief in seinem Gehirn ab. Er warf das Messer zur Seite, wischte sich erneut die Hände an der Hose ab. Jetzt hatte das Kind mehr Platz. Vorsichtig hob er es aus Annas Schoß und wickelte ihm schnell die Nabelschnur vom Hals. Es war schon leicht blau angelaufen. Aber es lebte und ruderte zittrig mit den Ärmchen. Es kam ihm so winzig vor, als es in seiner Hand lag und die Beinchen ihm nicht einmal bis zur Armbeuge reichten. Erleichterung machte sich in ihm breit, aber es war noch nicht geschafft. Er reinigte mit den Fingern und seinem Hemdzipfel das winzige Gesicht und wartete auf den Schrei.
Er blieb aus.
Er schüttelte es sachte und zog es sanft an den Ärmchen.
„Los, schrei, Kind“, sagte er gepresst.
Das Kind fing leise an zu jammern und steigerte sich dann zu einem dezenten Weinen. Jack atmete befreit auf. Es lebt, atmet und ist ein Mädchen, dachte er. Jack zog sein Hemd aus und wickelte das Kind darin ein. Vorsichtig legte er es der weinenden Anna auf die Brust, und sie drückte es an sich.
„Ich danke dir, Jack. Du hast mir und dem Kind das Leben gerettet. Allein hätte ich es nie geschafft.“ Ihre Stimme war schwach, zittrig und heiser.
Sie lächelte überglücklich, und er sah zu, wie sie sich langsam entspannte. Seine Hände zitterten, und er wünschte sich einen doppelten Whisky.
Erschöpft legte er sich neben Anna und betrachtete das Kind. Es war rot und verschmiert, aber wunderschön. Er lächelte Anna an und streichelte ihr über das Gesicht.
„Das hast du toll gemacht, Mädchen“, sagte er. Das hatte der Stallknecht damals zu der Stute gesagt.
Er überlegte, was er jetzt tun sollte. Er konnte sie doch nicht allein hier liegen lassen. Aber er musste Hilfe holen. Anna blutete jetzt stärker, schließlich war sie verletzt, und das Kind musste abgenabelt werden. Das könnte er zur Not noch machen. Nach einer Weile überzeugte er sich davon, dass die Nabelschnur nicht mehr pulsierte und benutzte sein Haarband, um sie abzubinden. Dann trennte er sie beherzt mit dem Messer durch. Um die Nachgeburt sollte sich Barbara später kümmern, beschloss er, denn davon verstand er nun wirklich nichts und wollte keinesfalls jetzt noch etwas falsch machen.
Anna beobachtete ihn staunend. Anscheinend konnte ihn nichts umwerfen.
„Ich werde sie Isabel nennen“, sagte sie feierlich, und ihm wurde augenblicklich heiß.
„Das ist eine gute Idee“, sagte er.
Dann fiel ihm ein, dass sie ihr ja noch nicht erzählt hatten, dass sie es bereits wussten – Isabel hatte ihm von der Familientradition erzählt. Es war merkwürdig, durch die Welt zu gehen und zu wissen, was passieren wird. Gleichzeitig war er dankbar dafür, dass er doch so wenig wusste.
Die Sonne senkte sich langsam hinter den Hügeln des Taunus, und er hatte Anna ermuntert, das wimmernde Kind an die Brust zu legen. Sie bestand darauf, dass er sich umdrehte, doch als er das Kind schmatzen hörte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und sah einfach zu. Sie lächelte milde, und er nickte kurz als Dank, dass er zusehen durfte. Die kleine Isabel hatte einen kräftigen Zug und beschwerte sich in rhythmischen Abständen lautstark über den noch nicht sehr ergiebigen Milchfluss ihrer Mutter.
„Die Milch schießt erst später ein“, erklärte er der nervösen Anna fachmännisch und wunderte sich, wie viel sein Hirn von Barbaras Vortrag
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