Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
schaffen.
„Ich muss morgen meine Angelegenheiten regeln und das Zimmer aufgeben. Dann können wir abreisen.“
„Abreisen? Wohin?“
Er sah mich verdutzt an.
„Nach Amerika. Die Maschine ist hinüber, sie war nicht versichert, und ich kann froh sein, wenn Karins Tante mich nicht verklagt.“ Er hielt inne und sah mich prüfend an. „Oder willst du etwa nicht mit mir kommen?“
Seine Augen verwandelten sich in schmale Schlitze, als könne meine Antwort körperliche Schmerzen mit sich bringen.
„Ich gehe überall mit dir hin“, sagte ich, und sein Gesicht entspannte sich. „Das weißt du doch. Aber ich muss erst einmal nach Frankfurt, meine Sachen regeln und Karins Tagebuch suchen. Würdest du zuerst mit mir kommen?“
Er runzelte die Stirn. Robert der Ungeborene. So nannte er ihn immer. Aber jetzt lebte er plötzlich, und Jack wollte ihm natürlich nicht begegnen. Er warf ein T-Shirt in seinen Koffer, und ich griff nach seinem Arm, um ihn eng an mich zu ziehen. Noch immer waren wir beide nackt.
„Bitte“, sagte ich leise und küsste ihn unter starker Beteiligung meiner Zunge.
Er löste seine Lippen von den meinen und sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen schweigend an. Ich forschte in seinem Gesicht nach einer Antwort, doch dann entschloss ich mich für eine andere, bereits verschiedentlich erfolgreich eingesetzte Überzeugungstaktik. Er seufzte tief.
„Schon gut, schon gut, ich komme mit. Das ist ja schlimmer als Folter.“
„Kann ich jetzt, wo das geklärt ist, endlich eine Tasse Kaffee haben?“, murmelte ich unter seinen Lippen.
„Vergiss es. Erst musst du zu Ende bringen, was du angefangen hast.“
Er drängte mich aufs Bett und liebte mich erneut, bis mir die Luft ausging und ich ihm in die Schulter beißen musste.
Dann lagen wir herrlich entspannt eng aneinander geschmiegt in seinem schmalen Bett. Ich sehnte mich noch immer nach einem starken Kaffee, doch ich wollte nicht, dass Jack aufstand. Stattdessen stellte ich ihm eine Frage.
„Warum willst du eigentlich nach Amerika zurück?“
Er schwieg lange.
„Das Erlebte hat mir gezeigt, dass es an der Zeit ist, meine Schatten ans Licht zu holen. Ich muss endlich mit meinen Eltern Frieden schließen. Und wenn du mir dabei hilfst, schaffe ich es vielleicht. Ich bin auch nicht ganz mittellos, musst du wissen, obwohl das hier nicht danach aussieht.“
„Nicht?“
„Nein. Mein Vater stattete meinen Bruder Brandon und mich mit einem netten Konto aus. Ich habe das Geld nur nie angerührt. Aber jetzt könnten wir damit eine Existenz gründen.“
„Ich habe auch etwas Geld gespart“, sagte ich.
„Prima, dann steht dem Plan ja nichts im Wege.“
Er lächelte, und ich nickte. Ich dachte darüber nach, was meine Mutter wohl darüber denken würde. Ich hatte sie vor ein paar Stunden angerufen und ihr mitgeteilt, dass ich noch lebte, und sie hatte vor lauter Weinen nicht weitersprechen können. Bald würde ich sie wieder sehen und ihr einen Mann vorstellen, von dem sie glauben musste, dass ich ihn erst seit zehn Tagen kannte.
Der Gedanke, mit ihm nach Amerika zu gehen, war aufregend. Doch zunächst dachte ich über näher liegende Dinge nach. Meine Mutter würde sich über mehr als das wundern.
„Ich muss dringend zum Friseur.“
„Was?“
„Mir ist soeben aufgefallen, dass ich mit schulterlangem Haar vor zehn Tagen in den Urlaub geflogen bin, und morgen mit Haaren bis weit über die Schultern vor meine Mutter treten soll. Ich glaube, das wird ihr komisch vorkommen.“
Jack lachte laut auf.
„Typisch Frau, immer ein Auge fürs Detail“, sagte er und hielt sich mit der Hand die Augen zu, als wäre diese Erkenntnis mehr, als er ertragen konnte. „Daran hätte ich nie gedacht. Aber du hast natürlich recht, darüber würde sie sich wundern. Aber schade finde ich es schon.“
Er wühlte mit beiden Händen in meiner Haarpracht und verzog bedauernd den Mund.
„Sie wachsen ja wieder. Wie schnell, hast du ja gesehen“, beruhigte ich ihn.
Diese Nacht machten wir kein Auge zu. Durch das offene Fenster drang der Gestank der Stadt, und der Verkehrslärm war so laut, dass ich Kopfschmerzen bekam. Da das Bett zwei Personen höchstens erlaubte, übereinander zu liegen, verzichteten wir weitgehend auf Schlaf. Jack erzählte mir von seiner Heimat, und wir verwöhnten uns gegenseitig noch ein wenig.
In Deutschland angekommen, wurden wir von meiner tränenüberströmten Mutter empfangen. Unterwegs erzählten wir ihr von unserem
Weitere Kostenlose Bücher