Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schimmer der Vergangenheit (German Edition)

Schimmer der Vergangenheit (German Edition)

Titel: Schimmer der Vergangenheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fraser
Vom Netzwerk:
zurück.
    Ich hoffte, Anna Göttmann bemerkte unsere verwunderten Gesichter nicht, denn das Frankreich aus dieser Zeit unterschied sich nicht sonderlich von Deutschland. Wir hatten keinen Grund, alles erstaunt anzustarren. Ich riskierte einen Seitenblick und glaubte, dass sie nichts bemerkt hatte. Sie wirkte unbekümmert und nett wie immer.
    Ich stieg hinter den anderen die Treppe hinauf, der jungen Dienstmagd Lisa folgend. Das Mädchen war hellblond, wie man an ein paar Haarspitzen auf der Stirn erkennen konnte, die sich unter dem Häubchen hervorgestohlen hatten. Sie wirkte mürrisch. Scheinbar missbilligte sie die Gastfreundlichkeit ihrer Herrin. Ich fand es ziemlich vorlaut von ihr, es so deutlich zu zeigen, und fragte mich, ob Anna es bemerkt hatte.
    Große Familienporträts zierten den Flur. Sie machten ein düsteres Gesicht, diese Ahnen, außerdem litten sie alle an stark hervorstehenden Augen.
    Ich sah zur Seite, und mein Blick fiel auf ein Porträt von etwas anderer Art. Vom Stil her mochte es nicht recht zu der erlauchten Ahnengalerie passen. Es zeigte einen jungen Mann mit feinen Gesichtszügen, dunkler Haut, kurzem glatten Haar, einem ausdrucksvollen Mund, und er schien mir direkt in die Augen zu schauen. Ich blieb stehen und starrte ihn an. Dann erkannte ich den langen, verzierten Speer neben seinem Kopf.
    Der Indio!
    Ich hatte ihn auf dem Flughafen gesehen und im Grün des Dschungels. Daran bestand nun kein Zweifel mehr, obwohl es keinen Sinn ergab. Jemand berührte mich an der Schulter, und ich fuhr zusammen.
    „Ein schönes Gemälde, nicht wahr? Es wirkt so lebensecht.“
    Anna war neben mich getreten.
    „Er blickt einem stets in die Augen, egal von wo aus man ihn ansieht. Ein wahres Talent, dieser Maler“, ergänzte sie.
    „Wo haben ... wo habt Ihr das her?“
    „Es wurde von einem Mitglied einer Zentralamerikaexpedition gemalt. Mein Mann bekam es von ihm geschenkt. Hat dieser Junge nicht wunderschöne Augen?“
    Zentralamerika. Das Reizwort der Woche. Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf. Das Bild musste ein Hinweis sein.
    „Wisst Ihr, wer es malte?“, fragte ich hoffnungsvoll.
    „Nein, leider nicht.“
    Aus. Schon war die heiße Spur erloschen. Anna ging an mir vorbei, und ich blieb zurück, allein mit dem Bildnis dieses rätselhaften Indios und meinen Gedanken. Er existierte hier im alten Frankfurt 1790, wenn auch nur als Gemälde, und gleichzeitig lebendig im 20. Jahrhundert in Mexiko? Dann hätte er mindestens zweihundert Jahre alt sein müssen. Es wurde immer verrückter.
    Ich folgte den anderen in ein Schlafzimmer im ersten Stock. Helles, warmes Sonnenlicht legte sich über zwei breite Betten und die zweckmäßige Einrichtung. Ich sah einen alten Schrank, der vermutlich noch recht neu war, eine Truhe für Wäsche, wie Anna erklärte, wieder meine Frage von der Stirn ablesend. Ein Waschtisch mit Krug und Schale und einem ovalen Spiegel darüber imitierte ein Badezimmer. Lange dunkelrote Vorhänge hingen zurückgezogen an den beiden kleinen Fenstern, und unter jedem Bett fand man das obligatorische Nachtgeschirr. Alles in allem wunderte ich mich über den gepflegten Zustand des Raumes. Er wirkte, als ob hier regelmäßig Gäste untergebracht werden würden. Nahm sie etwa öfter Gefangene oder Bettler mit nach Hause? Schon im nächsten Augenblick beantwortete sie auch diese Frage.
    „Es ist stets alles bereit, denn mein Gatte bringt oft Handelspartner und Kameraden bei uns unter. Aber er wird Verständnis haben, seine Bekanntschaften müssen eben einstweilen eine Herberge aufsuchen.“
    Sie zuckte mit den Schultern und spitzte leicht die Lippen. Für diese Zeit ganz schön emanzipiert, dachte ich, und formulierte eine zeitgemäß klingende Frage.
    „Wird Euer Gatte uns dulden?“
    Ihre Augen lächelten.
    „Ich verstehe, was Ihr meint, doch ich führe eine gute Ehe. Ich habe aus Liebe geheiratet, und mein Gatte ist sehr gütig“, gestand sie leicht errötend, und ihre Worte ließen erahnen, dass dies zu dieser Zeit nicht unbedingt an der Tagesordnung war. Sie verließ das Zimmer, und wir hörten sie nach Lisa rufen. Die Zofe erschien kurz danach, mit einer Pubertätsakne gestraft und direkten Augenkontakt vermeidend. Sie brachte heißes Wasser und Handtücher, damit wir uns frisch machen konnten.
    „Im Zimmer meiner Herrin steht ein Badezuber. Ich werde alles für ein Bad herrichten“, sagte Lisa, musterte mich von oben bis unten mit einer Mischung aus Mitleid und

Weitere Kostenlose Bücher