Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
habt doch nichts dagegen?“, fragte sie, als seine Gesichtsfarbe von Schweinchenrosa in Dunkelrot wechselte.
„Oh nein. Es ist nur so, Madam, dass man nicht viel über sie weiß, und es könnte gefährlich sein.“
Verlegen und fahrig fingerte er an seinem Hemdzipfel herum. Anna ließ sich nicht beirren.
„Nur keine Angst. Mein Gatte wird bald wieder im Hause weilen. Ich habe außerdem noch meinen Kutscher im Haus. Indes, Herr Aufseher, es sind doch nur ... Frauen, nicht wahr?“ Herausfordernd sah sie ihn an.
Er nahm eine demütige Haltung ein.
„Gut, gut. Ich bin froh, sie los zu sein, das könnt Ihr mir glauben. Einen ganz schönen Appetit haben sie an den Tag gelegt. So etwas geht auf die Dauer ins Geld.“
Er zuckte nicht mit der Wimper bei dieser Lüge. Wären wir nicht von Anna unterstützt worden, hätten wir hungern müssen.
Der Aufseher verabschiedete sich, in falscher Demut rückwärts gehend, wobei er vor sich hin murmelte.
„Alles, wie Ihr es wünscht, edle Dame, wie Ihr wünscht, aber sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt“.
Wir stiegen in die Kutsche und bedankten uns mindestens tausend Mal, wobei wir vor Freude weinten, bis Anna meinte, wir sollten endlich damit aufhören, wir würden sie beschämen.
Erstaunt hielt ich die Luft an, als wir mit der sanft schaukelnden Kutsche über den mir so bekannten Römerberg fuhren. Der große Platz, umsäumt von hohen, wunderschönen Fachwerkhäusern Wand an Wand mit hohen, spitzen Giebeln und winzigen Fenstern, lag malerisch in der Nachmittagssonne. Bilder aus Museen fielen mir ein. Aber es war Realität, und ich war mitten drin. Mitten in einem anderen Jahrhundert. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber auf jeden Fall wusste ich, was fehlte. Der Verkehrslärm, der Abgasgeruch und dahin hetzende Menschenmassen.
Ein paar Passanten, die wie hingestreut wirkten, gingen über den Platz. Das durfte alles nicht wahr sein. Völlig unbegreiflich. Jeden Moment musste doch der Mann mit der versteckten Kamera kommen.
Die Kutsche stoppte schließlich, und Anna stieg aus.
„Hält man das für möglich?“, flüsterte Barbara. „Da drüben steht sonst das Museum.“
Wo sie hindeutete, befand sich nur das Kopfsteinpflaster des Platzes.
„Ich war eine Woche vor dem Urlaub noch drin“, sagte sie langsam. „Und nun ist es nicht mehr da. Sagt bloß, ihr könnt das alles begreifen?“
Nein, das konnte ich nicht. Doch ich sah immer wieder Bildfragmente vor meinem geistigen Auge, die ich kurz vor der Ohnmacht gesehen hatte. Es war wie die bruchstückhafte Erinnerung an einen Traum, der einem im Kopf herumspukt. Daher war ich mir ganz sicher, dass es keine Illusion war, denn wie könnte ich eine Erinnerung an eine Illusion haben? Tatsache war, dass mir alles hier erschreckend bekannt vorkam, was nichts mit der Tatsache zu tun hatte, dass es sich um meine Heimatstadt handelte, die ich natürlich wiedererkannte. Dieses Empfinden war anders, und ich musste mich ihm machtlos ergeben wie einem Déjà-vu, das plötzlich und ohne Vorwarnung eintritt und ein seltsam hohles Gefühl von immer währender Wiederholung hinterlässt, der man nicht entkommen kann.
Wir traten in das Haus ein und sahen uns verzückt um. Es war alles so altmodisch. Ein großer Vorraum mit einer Treppe nach oben, an der sich ein kunstvoll gedrechseltes Holzgeländer emporwand. Ich vermutete, man konnte hier mit dem Pferdegespann hineinfahren, um Waren im geschützten Innern des Hauses abzuladen. Eine Art Garage. Ich hatte schon von diesen Kaufmannshäusern gehört und hielt sie für eine clevere Einrichtung. Herr Göttmann war scheinbar ein Handelsmann.
„Mein Mann handelt mit verschiedenen Waren“, erklärte Anna in diesem Moment, als wären meine Gedanken von meiner Stirn ablesbar gewesen. Mehrere weibliche Dienstboten kamen eifrig angelaufen.
„Lisa, bitte geleite die Damen nach oben in das große Gästezimmer.“
Mit einem Blick auf die kleine, rundliche Frau im Eingang einer Seitentür gab Anna ihre nächste Order.
„Maria, unsere Gäste sind eingetroffen. Richte bitte das Essen.“
Die kleine Frau nickte und verschwand. Der polierte Holzfußboden knarrte unter den Füßen der Dienstboten. Sie trugen graue und braune bodenlange Kleider mit weißen, gestärkten Schürzen. Das Haar wurde von sittsamen Hauben bedeckt. Ihre Schuhe mussten aus Stoff sein, denn sie hinterließen kein klapperndes Geräusch auf dem Parkett. Wir starrten sie an, und sie starrten
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