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Schimmer der Vergangenheit (German Edition)

Schimmer der Vergangenheit (German Edition)

Titel: Schimmer der Vergangenheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fraser
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kann?“ Meine Frage brachte Anna zum lachen.
    Wir saßen gemeinsam beim Essen. Sie hatte uns einfache Kleider geliehen, die sie bereits abgelegt hatte. Einfach war jedoch nicht gleichbedeutend mit ärmlich. Zu unserer Verzückung waren sie bodenlang, langärmelig und mit Bändern verziert. Meins schimmerte blau und wurde über der Brust gebunden, aber es war hoch genug geschnitten, um das Nötigste sittsam zu verbergen. Darunter trug man ein dünnes Leinenhemd und eine Unterhose, die fast bis zu den Knien reichte, was wir leicht amüsiert hinnahmen. Anette war erleichtert, denn sie hatte angenommen, dass man zu dieser Zeit noch auf Unterwäsche verzichtete. Wir vermuteten, dies traf wohl hauptsächlich auf die unteren Bevölkerungsschichten zu. Zunächst weigerten wir uns, die engen Korsetts zu tragen. Doch ich entschloss mich, es zu versuchen, und fand, es gab dem Kleid erst den richtigen Stil.
    Nach dem Bad wurde mein Haar von Lisa hochgesteckt und mit blauen Bändern verziert. Sie erwies sich als äußerst geschickt darin. An den Schläfen ließ sie je eine lockige Strähne heraus und wollte sie mit weißem Puder bestäuben, was ich empört ablehnte. Mit beleidigtem Gesicht kniete sie vor mir nieder und band mir die Schuhe zu. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, für einen Kostümball zurechtgemacht zu werden. Beim Anblick meiner Freundinnen verwandelte sich mein Lächeln zu einem Grinsen.
    Barbara ging gut als Engel durch. Das altrosafarbene Kleid betonte ihr weißblondes Haar und ihren zarten Teint. Sie lächelte verlegen, als sie unsere bewundernden Blicke bemerkte.
    Karin hatte man zur Tarnung ihres kurzen Haares ein hübsches Häubchen aufgesetzt.
    „Hattet Ihr kürzlich Läusebefall? Oder einen Unfall mit der Brennschere?“, fragte Lisa, als sie Karin frisieren wollte.
    Karin entschied sich lachend für die Brennschere. Anna schalt Lisa wegen der Impertinenz, aber Karin winkte ab und gab zu verstehen, keineswegs gekränkt zu sein.
    Anettes Haar konnte man gerade so hochstecken. Sie wirkte in ihrem dunkelroten Kleid und einer weißen Haube sehr edel und intelligent.
    Herr Göttmann, mit Vornamen Friedrich, war noch nicht heimgekehrt. Es war uns ganz recht, denn von Frau zu Frau konnten wir vielleicht ein paar wichtige Dinge erfahren, ohne uns allzu verdächtig zu machen.
    Lisa führte uns ins Speisezimmer. Trotz seiner schweren altdeutschen Einrichtung strahlte der Raum Gemütlichkeit aus. Die glänzend polierte Tischplatte war vermutlich aus Kirschbaumholz und momentan von sechs Stühlen umstellt, doch die lange Tafel bot genug Platz für zwölf bis fünfzehn Personen. Gemälde von Jagdszenen, voller Männerstolz geschwollener Jägerbrüste vor blutendem Wild, zierten die Wände. In der Mitte der linken fensterlosen Wand befand sich ein großer Kamin, der von zwei großen Hirschgeweihen gerahmt wurde. Sicher hatte der Hausherr die Zwölfender persönlich erlegt. Ich vermisste die passenden Waffen daneben, doch dann fiel mir ein, dass diese wohl nur in Museen neben den jahrhundertealten Jagdopfern zu hängen pflegten. Für einen Moment hatte ich tatsächlich vergessen, dass es sich hierbei nicht um eine Museumsführung handelte. Auf einer Anrichte lagen ein paar Briefe mit roten Siegeln verschlossen und eine Zeitung für die wehrte Aufmerksamkeit des heimkehrenden Hausherren bereit. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick darauf.
    „Franckfurter Frag- und Anzeigungs-Nachrichten, 24. August 1790.“
    Die Wahrheit leuchtete mir in dicken Lettern entgegen. Einhundertundneunzig Jahre. Hitze stieg in meine Wangen. Obwohl ich es inzwischen nur zu gut wusste, stand es doch auf einem anderen Blatt, es schwarz auf Weiß zu sehen. Ein Anflug von Verzweiflung ließ meine Kehle enger werden. Keine versteckte Kamera, keine Illusion. Pure Realität. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und versuchte krampfhaft sie zurückzuhalten. Mein Leben war in 1980. Wie sollten wir bloß wieder zurück kommen?
    Ich schluckte schwer und stützte mich auf die polierte Tischplatte. Anette, von meinem Gesichtsausdruck stutzig geworden, hob fragend das Kinn. Ich flüsterte ihr das Datum zu. Sie lächelte wissend und machte eine Handbewegung die signalisierte „Kopf hoch, wir schaffen das schon irgendwie.“
    Unsere Gastgeberin betrat den Raum nach uns und lud uns herzlich ein Platz zunehmen. Mit betretenen Gesichtern setzten wir uns, und ich vergaß beinahe jemanden vor uns zu haben, der keine Ahnung hatte, wie wir

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