Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
sie das Geschäft anvertrauen können? Korruption und Kuhhandel aller Art waren an der Tagesordnung. Sicher hätte sich sofort ein Mann zwecks Heirat bei ihr vorgestellt, der nur sein Vermögen vergrößern wollte, seine Frau aber als notwendiges Übel betrachtete und sie schlecht behandelte. Allein Jacks Anwesenheit schützte sie vor Angeboten dieser Art.
Die Angst, sie würde daran verzweifeln, dass wir vorhatten, sie wieder zu verlassen, hielt uns davon ab, ihr unser Geheimnis anzuvertrauen. Doch mit jedem Tag kam ich mir ihr gegenüber mehr als elendere Betrügerin vor, die ihr Vertrauen schamlos ausnutzte. Jack führte die Geschäfte von Friedrich weiter, so dass sie nicht verarmte. Wenn er den Versuch unternahm, ihr etwas zu erklären, damit sie später wieder allein zurechtkäme, lehnte sie jedes Mal entschieden ab und betonte so lange, wie sehr sie sich auf ihn verlasse und wie dankbar sie ihm sei, bis er schließlich verstummte.
„Wir müssen ihr einen Verwalter einstellen“, grübelte Jack.
Ich lag in seinen Armen in unserem neuen breiten Bett und streichelte seine zusammengezogenen Augenbrauen.
„Mach dir nicht so viele Sorgen, davon bekommt man Falten.“
Er küsste mich, doch seine Gedanken waren weit fort. Ich kuschelte mich an ihn, müde von einem arbeitsreichen Tag. Wir Frauen machten uns im Haushalt und bei Jack im Lager nützlich. Es gab viel zu tun. Jack hatte den Lehrling entlassen müssen. Es war zu kompliziert, ihm eine sachgemäße Ausbildung zu verschaffen, zumal wir keine Ahnung über die korrekten Abläufe dieser Zeit hatten. Nicht nur Jack hatte Schwierigkeiten, die altdeutsche Schrift zu lesen oder zu schreiben, sondern auch wir hatten damit Probleme. Manchmal grübelten wir zu dritt über einem Wort, denn wir hatten alle kein Altdeutsch mehr in der Schule gelernt. Quittungen und andere Belege, die Jack dringend für das Geschäft brauchte, malte Karin am geschicktesten, seitdem Anna uns nicht mehr dabei half. Sie hatte eine künstlerische Ader und gab sich große Mühe. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.
„Ich werde morgen eine Anzeige aufgeben und hoffe, einen vertrauenswürdigen Verwalter zu finden“, beschloss Jack und küsste mich auf die Stirn.
„Gute Nacht, mein Engel.”
Ich lauschte seinen regelmäßigen Atemzügen. Schon immer war es mir ein Rätsel, wie abrupt Männer einschlafen konnten. Es war kalt im Zimmer. Das Feuer brannte in der Nacht schnell herunter, und am Fenster bildeten sich Eisblumen. Ich lag unter einem dicken Federbett und schlotterte. Eng an Jack gekuschelt, versprach ich mir selbst, so bald wie möglich das Federbett mit Nadel und Faden durchzusteppen, da mein Körper jeden Morgen unter dem dünnen Leinen erwachte, während die Federn zu den Füßen gerutscht waren.
Weihnachten stand vor der Tür, und im Haus duftete es nach Zimtplätzchen, Mandelgebäck, Lebkuchen. Alle waren immerzu beschäftigt. Ich fühlte, wie schwer gerade diese Zeit für Anna sein musste, und bemühte mich sehr um sie. Interessiert lauschte ich ihr, wenn sie von vergangenen Weihnachtsfesten erzählte, von rauschenden Bällen der gehobenen Gesellschaft, die sie mit Friedrich so gern besucht hatte. Gute Kunden hatten den Geschäftsmann und seine Gattin stets mit einer Einladung bedacht, doch dieses Jahr hatte sie aus Gründen der Schwangerschaft und Trauer alle Einladungen abgesagt. Bei diesen Gedanken rutschte ihr Blick sehnsüchtig in die Ferne. Ich wechselte schnell das Thema und erkundigte mich bei ihr beispielsweise nach dem besten Spekulatiusrezept. Wir rührten Teige, mahlten Körner und kneteten Figuren aus Lebkuchenteig sowie die typischen Frankfurter Bethmännchen aus selbst hergestelltem Marzipan, und langsam wurde die Stimmung etwas gelöster. Ich konnte mich jedoch nicht richtig entspannen und diese heimelige Zeit genießen, denn immer wieder begegnete ich den misstrauischen Blicken der Bediensteten. Jack hatte noch keine üblen Geschichten über uns zugetragen bekommen, obwohl er sich mit einigen Kunden sehr angeregt unterhielt. Er bekam neben den Geschäftsabschlüssen immer den neuesten Klatsch erzählt. Außerdem sprach er inzwischen sehr offen mit Johannes, ohne ihm unser Geheimnis anzuvertrauen. Johannes hatte versprochen, uns sofort in Kenntnis zu setzen, falls Klatsch an ihn herangetragen werden würde.
Draußen fegten Schneestürme, doch im Haus war es gemütlich, wenn auch etwas stickig. Jack riss ständig die Fenster auf, und unsichtbare
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