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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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So ein kleines Mädchen bist du gar nicht. Du hast schon einen hübschen Jungen, der dich anschaut.«  
    Darauf sagte ich nichts. Ich erinnerte mich daran, wie Ashley Bing Will in der Kirche in Hebron angestarrt hatte. Ich erinnerte mich auch daran, dass mir das überhaupt nicht gefallen hatte. Ich hatte schon Ashleys Stimme im Kopf: »Jetzt hat Missi-Pissi einen Freund «, und Emma Flints Echo: »Einen Freund !«
    »Keine Panik, Kindchen«, sagte Lill. »Glaub mir, in ein paar Jahren wird Will junior deine geringste Sorge sein.« Lill legte mir einen Arm um die Schultern und drückte mich an sich, genau wie Momma es getan hätte. Einen Augenblick dachte ich, Lill wäre vielleicht ein Engel, der auf uns aufpassen sollte, während wir mit dem großen rosa Bibelbus über den Highway holperten – kein Teufelsengel wie Bobbis Tattoo und auch kein dämlich grinsender Parfümengel wie der Lufterfrischer, der hinter der Windschutzscheibe von Miss Rosemarys Minivan baumelte. Ein echter Engel. Einer mit riesengroßen Füßen.  

17. Kapitel
     
    Irgendwann später, kurz vor Emerald, tauchte Samson der Schatten lautlos neben Fish auf. Er hielt die leere Chipstüte fest in der Hand. Das doppelte Gelb der Ampel an der Querstraße spiegelte sich in Lills weit aufgerissenen Augen. Sie schaute mich fragend an und zeigte auf Samson, der neben Fish saß und ihm etwas zuflüsterte.  
    »Und was ist das für ein Wesen?«, fragte Lill leise, als wäre er ein scheues, wildes Etwas, das sich aus seinem Versteck gewagt hatte.  
    »Das ist noch ein Bruder von mir. Er heißt Samson«, erklärte ich. »Er ist sieben und er redet nicht so viel.«  
    »Der große Schweiger, was? Hallo, Samson«, sagte Lill freundlich. Samson schaute Lill teilnahmslos an, so wie die Tiere im Zoo gucken, wenn man sie anschaut. Dann blickte er schnell wieder zu Fish, stieß ihm seinen dünnen Ellbogen in die Rippen und knisterte mit der leeren Tüte.  
    »Mein Bruder hat Hunger, Ma’am«, erklärte Fish. »Seit heute Mittag haben wir nicht groß was gegessen, und jetzt ist die Zeit zum Abendessen bestimmt schon vorbei.«  
    Lill schaute auf die Armbanduhr, sie hielt sie in dem schwachen Licht im Bus nah an die Augen. Dann seufzte sie tief. »Wo du Recht hast, hast du Recht, Mr Fish. Die Zeit zum Abendessen ist lange vorbei und meine Schicht in der Raststätte hat auch schon längst angefangen. Wenn es eins gibt, was ich echt draufhab – wofür ich ein echtes Talent habe –, dann ist es Zuspätkommen.« Sie schaute uns der Reihe nach an, und um ihre Augen bildete sich ein bekümmertes Lächeln. Ihr anfängliches Misstrauen gegen uns war mit meinen Erzählungen von Poppa und dem Unfall dahingeschmolzen. Ich hatte meine Angst und meinen Kummer nicht verbergen können, und Lill hatte sich mitfühlend gezeigt. Wenn man eine gütige Frau für sich einnehmen will, gibt es bestimmt nichts Besseres als ein trauriges Mädchen mit einer zu Herzen gehenden Geschichte.  
    »Aber ich sag euch was«, fuhr Lill fort. »Wenn ich zur Arbeit komme und wenn ich diese Arbeit dann immer noch habe , wenn mein Chef mich nicht auf der Stelle rausschmeißt, weil ich zu spät komme – zum x-ten Mal«, stöhnte sie. »Dann sorg ich dafür, dass ihr alle was Schönes zu essen kriegt. Ich verspreche euch sogar, dass ihr jeder ein Stück Kuchen kriegt, bevor ihr wieder losmüsst – das spendiere ich.«  
    »Hast du Bananencremetorte?«  
    Alle drehten sich zu Samson um, verblüfft, dass er ausnahmsweise einmal nicht nur flüsterte. Seine Chorknabenstimme war heiser vom Schweigen und Feldbettstaub, aber lieblich wie eh und je. Ich versuchte mich zu erinnern, wann er das letzte Mal laut gesprochen hatte – vor einem Tag? Vor einer Woche? Einem Monat? So war das mit meinem Grübelbruder. Jetzt lächelte ich ihn an; ich wusste, wie gern er Bananencremetorte aß.  
    »Ach du je, der kann ja sprechen«, murmelte Bobbi. Und während Samson immer noch ernst, mit versteinerter Miene dasaß, ging ein Giggelkichern durch die Reihen, das zu prustendem Gelächter anwuchs, während die Spannung des Tages sich löste, wie wenn eine große Welle ans Ufer klatscht. Hätte ich vergessen können, weshalb ich hier war, dann hätte ich beinahe glücklich sein können. Mitten in all dem Durcheinander hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, ich könnte vielleicht Freunde finden – und das schloss sogar Bobbi mit ein.  
    Lester folgte Lills Anweisungen und fuhr nach Emerald hinein.

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