Schimmer (German Edition)
Wirrwarr der wahren Worte, dass es kurz vorm Zerspringen war. Ich war zuversichtlich, dass Will ein kräftiges Herz hatte, und dachte mir, dass er sich nicht in eine matschige Wassermelone verwandeln würde, nur weil ich noch nicht bereit war, ihn zu küssen. Aber wir waren Freunde und das wollte ich nicht kaputt machen.
Ich ließ Wills Gesicht los und er hörte auf, mit seinem Knie an meins zu stoßen. Sein Lächeln verrutschte und sein blaues Auge verlieh ihm ein bockiges, rüpeliges Aussehen, das ich nicht so ganz deuten konnte.
»Na gut, Mibs«, sagte er. »Dann gib mir den Stift wieder.«
»Meinen Geburtstagsstift?«, fragte ich, überrascht und auf einmal ziemlich verzagt. Will zog vielsagend die Augenbrauen hoch und streckte die Hand aus. Ich bekam einen Kloß im Bauch und meine Unterlippe begann zu zittern. Ich fühlte mich jünger als jung und die ganze Verwurzelung und das Erwachsenwerden, an denen ich mich gerade versucht hatte, schienen mir zu entgleiten, als ich in die Tasche meines Festtagskleides langte. Ich fasste an der eingewickelten Seife vorbei, die ich mir heute Morgen so frohgemut gesichert hatte und die jetzt zu meinem Kummer zerbrochen war. Ich fasste tiefer und schloss die Finger um meinen schönen, schicken Geburtstagsstift mit dem silbernen Griff und der glänzenden runden Kappe.
Ich konnte Will nicht anschauen, als ich ihm den Stift hinhielt. Stattdessen starrte ich aus dem Fenster, achtete nicht auf Fishs zufriedenen Gesichtsausdruck und versuchte das Zittern meiner Lippen zu beenden, versuchte mir zu sagen, dass ich eine blöde Zauderziege war, mich so zurückgewiesen zu fühlen, wo ich doch diejenige war, die zurückgewiesen hatte. Ich sah, wie die Hügel am Busfenster vorbeiglitten wie wogende Weizenfelder. Ich spürte, wie Will mir den Stift aus der Hand nahm, und hörte, wie er mit einem schnellen metallischen Pling die Kappe abzog.
Einen Augenblick später hatte ich eine Stimme im Kopf wie eine tieftönende Glocke, und sie hallte in meinen Ohren nach.
Ich kann warten.
Ich kann warten.
Ich kann warten.
Ich wandte mich wieder zu Will, der mich anschaute und die rechte Hand erhoben hatte, wie zum Schwur oder als würde er aufzeigen – eine blaue Sonne auf seiner Handfläche, die mich anlächelte.
»Keine Sorge, Mibs«, sagte er laut.
28. Kapitel
Nach Wymore fuhren wir weiter Richtung Süden, ließen Nebraska hinter uns und fanden uns auf der anderen Seite von Kansas wieder, immer noch meilenweit von Salina entfernt. Alles Bitten und Betteln der Beaumonts half nichts; Lester bestand darauf, noch einen letzten Umweg zu machen. Also aßen wir Poptarts und Chips und Schokoriegel vom Super-Supermarkt und sahen die Landschaft an uns vorbeirauschen und versuchten nicht an Poppa zu denken, der schwer verletzt im Krankenhaus lag, versuchten nicht an das Schlimmste zu denken.
Wir befanden uns gerade nördlich von Manhattan, als eine Sirene hinter uns heulte und Lichter aufflackerten. Wir Kinder waren sofort gespannt wie Sprungfedern, duckten uns und zogen die Köpfe ein, als Lester zusammen mit den anderen Sonntagsreisenden so weit wie möglich rechts fuhr. Wir waren unendlich erleichtert, als wir sahen, wie ein weißblaues Polizeiauto an uns vorbeisauste und wir begriffen, dass es nicht – ACHTUNG! VERMISST! ACHTUNG! – hinter uns her war. Lill und Lester merkten so gut wie gar nichts, weil sie dermaßen mit sich selbst beschäftigt waren.
Bald darauf folgte Lester einer langgestreckten Kurve auf dem Highway, Fish stand auf, ging nach vorn und blieb knapp hinter der gelben Linie stehen, die auf den Boden gemalt war. Er schaute zur Windschutzscheibe hinaus auf die Straße und umfasste die Lehne von Lesters Sitz so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Ich erhob mich von meinem Platz neben Will, quetschte mich an ihm vorbei und ging zu Fish. Irgendwas war los, so sicher wie nur was.
»Fish, was ist?«, fragte ich ihn über das Dröhnen des Busses hinweg. Die anderen schauten jetzt neugierig zu uns hin.
»Ich rieche Wasser«, sagte Fish. »Viel Wasser.« Ich warf Lill neben uns einen schnellen Blick zu, sie schaute uns fragend an. Auch Lester wandte den Kopf.
»Du hast eine g-gute Nase«, sagte er zu Fish. »Wir sind nicht weit vom Tuttle Creek Lake entfernt. Das ist ein g-ganz ordentliches G-Gewässer, das kann man sagen.«
Ich legte Fish eine Hand auf die Schulter. »Du kannst es doch
Weitere Kostenlose Bücher