Schimmer (German Edition)
wie Hänsel und Gretel, die ahnungslos auf einen riesigen Ofen zumarschierten. Fish und Will schien es ähnlich zu gehen wie mir; wir schauten uns alle an, dann stürmten wir aus dem Bus, direkt an Carlene und Lester vorbei, folgten Bobbi und Samson in den Wohnwagen und ließen Lill allein im Bus der Dinge harren.
Im Innern von Carlenes Wohnwagen war es verraucht und schummrig, die Sonne versuchte sich durch die dichten Gardinen zu kämpfen, die alle Fenster bedeckten. Ein penetranter Geruch nach Mottenkugeln und Duftkerzen strömte mir in die Nase und in den Hals und ich musste husten. Carlenes Möbel waren schreiend hässlich und in jedem Regal standen Nippes, Tand und Tinnef. Als Samson fertig war, gingen auch Bobbi und ich nacheinander zur Toilette.
Ich kam gerade rechtzeitig wieder heraus, um Samson zu erwischen, wie er unter ein langes Tischtuch huschte, das fast bis zum Boden reichte; es war über einen kleinen Tisch vor der vertäfelten Theke geworfen, die das Wohnzimmer von der Küche trennte. Als mein Bruder unter den Tisch wibbelte und sich verstohlen wie üblich in seinem neuen Versteck verkriechen wollte, packte ich ihn am Knöchel und zog ihn rückwärts wieder unter dem Tisch hervor.
»Nicht jetzt, Samson«, sagte ich. »Nicht hier. Bleib, wo wir dich sehen können, ja?« Samson schaute mich an, die Miene versteinert und ausdruckslos wie immer, er ließ nur die dürren Schultern ein kleines bisschen hängen.
Ich wollte ihm gerade versichern, dass wir bald weiterfahren würden, dass wir schon bald bei Momma und Rocket in Salina sein und Poppa sehen würden, aber in dem Moment platzte Carlene in den Wohnwagen und Lester folgte ihr auf dem Fuß.
Carlene schrie und hielt sich die Ohren zu. Lester versuchte ihr ein Bündel Geldscheine zu geben, die mit einer Büroklammer zusammengehalten wurden, doch Carlene würdigte ihn keines Blickes. Sie schimpfte über Lesters mangelnde Intelligenz und seine allgemeine Blödheit, scheuchte Fish weg von einem Regal voller Figürchen aus trockenen Makkaroni und riss Will junior eine lecke, halbleere Sunny Miami -Schneekugel aus den Händen.
»Ich nehme das Geld nicht, Lester«, brüllte Carlene und schaute misstrauisch zu Bobbi, die einfach nur neben dem Sofa stand. »Ich nehme es nicht, weil es nicht annähernd genug ist. Wenn du doppelt so viel hast, kannst du wiederkommen.« Carlene machte eine Pause, gerade lange genug, um uns alle nacheinander angucken zu können, sie hatte das Gesicht angestrengt verzerrt, als versuchte sie sich an etwas zu erinnern, etwas, das möglicherweise mit uns zu tun hatte.
»Schön, C-Carlene«, sagte Lester. »Dann lässt du es eben bleiben. Aber d-du sollst wissen, dass ich nicht w-wiederkomme, ob du das Geld nun nimmst oder nicht. Ich fahre weiter.«
»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden!«, rief Carlene, wandte den Blick von uns Kindern ab und grabschte das Geld gierig aus seiner Hand. Jetzt loderte ihre Wut so richtig auf und sie zielte mit der lecken Schneekugel direkt auf Lesters Kopf. Lester duckte sich, dann tanzte er herum, als Carlene mit anderen Gegenständen nach ihm warf, Figürchen und Sammelteller segelten durch den Raum und knallten an eine Wand, eine Lampe oder einen Tisch, wenn Lester zur Seite sprang.
Sowohl die Carlene aus Fleisch und Blut als auch die Carlene in Lesters Kopf kreischten und brüllten so laut, dass Rhondas Stimme kaum dazwischenkam.
»Ich dachte, ich hätte dich besser erzogen, du dummer Junge!«, schalt Rhonda ihn. »Mit einer Frau zu zanken!«
»Du bist so eine Niete, Lester! So eine komplette Nullnummer!«, schimpfte Carlene, während Makkaronipudel durch die Luft flogen.
»Lester ist ein Volli…«
»Lester ist ein …«
»Halt – die – Klappe!« Schließlich war es an Lester, sich die Ohren zuzuhalten und zu schreien, alle Stimmen zur Ruhe zu rufen. »Es reicht!«, brüllte Lester, der aufrecht in seiner Latzhose in Carlenes Wohnwagen stand. »Ich hab die Nase voll von dir, Carlene. Es ist mir egal, wenn du mich feuern lässt – ich werd es schon schaffen, meinen Bus zu behalten. Dein Cousin Larry ist m-mir egal, und du bist mir auch egal!«
Ein erschrockenes Schweigen erfüllte den Raum. Einen Augenblick rührte sich niemand. Keiner sprach oder dachte auch nur.
»Also, ich werde nie …«, setzte Rhonda an, dann verebbte ihre Stimme schnell.
»Du Depp …« Carlenes Stimme in Lesters Kopf
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