Schimmer (German Edition)
auch noch drei z-zusätzliche Kisten Heartland-Bibeln k-kaufen.«
Lill klatschte in die Hände wie meine Schwester Gypsy, mit freudiger Begeisterung.
»Womit ich alle B-Bibeln verkauft hätte, die ich gestern nicht losgeworden bin«, sagte Lester erleichtert und klopfte auf die Lehne seines Fahrersitzes, als wäre sein Bus jetzt gerettet und er selbst erlöst.
Lester heuerte Fish und Will dafür an, ihm beim Tragen der Kisten vom Bus in die Kirche zu helfen. Die Jungen zogen die Köpfe ein und trugen die Kisten möglichst hoch, um ihre Gesichter so gut es ging zu verbergen, damit niemand sie von den ACHTUNG-VERMISST-ACHTUNG-Nachrichten erkannte.
Als sie zurückkamen, hatte Lester Bargeld und Fish und Will hatten die Hände voller geviertelter Donuts mit Puderzucker. Will wischte sich weißen Zucker von seinem schwarzen T-Shirt, als er mir ein Stück Donut reichte, dann leckte er sich noch mehr Zucker von den Fingern und setzte sich neben mich – dicht neben mich. Trotz der Donuts blickte Fish auf der anderen Seite des Ganges dunkel wie eine Sturmwolke, und ein Schatten fiel auf die Sonne. Will schaute besorgt von Fish zu Lester zu mir.
»Lester sagt, er muss noch einen Zwischenstopp einlegen, bevor wir nach Salina fahren, Mibs«, sagte er. »Ich glaub, er muss irgendeiner Frau Geld aus den Bibelverkäufen geben, und es liegt auf dem Weg. Aber er hat versprochen, dass er uns bald zum Krankenhaus bringt – es dauert nur ein paar Stunden.« Will versuchte mich zu beruhigen. Er wusste, wie eilig Fish, Samson und ich es hatten, zu unserem Poppa zu kommen, und er war unsicher, was passieren könnte, wenn wir noch unzufriedener und ungeduldiger wurden.
Ich hielt das Donutstück vorsichtig zwischen zwei Fingern und sah zu, wie der Puderzucker auf meinen Schoß schwebte, während der Bus ruckelnd und röhrend wieder erwachte. Es dauerte so endlos, endlos lange, bis wir zu Poppa kamen; noch ein paar Stunden in dieser Ungewissheit und Angst fühlten sich an wie Tage, Monate oder Jahre mit alltäglichen Sorgen – alltägliche Sorgen wie zum Beispiel die Frage, was ich mit einem gewissen Jungen mit lockigen Haaren machen sollte.
Will aß seinen Donut auf und verzog das Gesicht, er sah ärgerlich und verlegen aus. Er langte unter sein Bein und zog eine Kugel aus Zeitungspapier hervor, auf der er gesessen hatte. Irgendetwas an dem zerknüllten Hochglanzpapier stach mir ins Auge. Ich stopfte mir das Donutstück in den Mund und nahm Will die Papierkugel aus der Hand; ich musste ein bisschen husten, weil ich Puderzucker eingeatmet hatte. Ich faltete das Papier auseinander, strich es auf dem Schoß glatt und achtete nicht darauf, dass Wills Knie dabei gegen meins stieß. Auf dem Blatt war das Titelbild mit dem menschlichen Herzen, das so aussah wie eine große matschige Wassermelone, die von feinen, blassen Wurzeln durchzogen war. Als ich das Bild zum ersten Mal gesehen hatte, hatte ich gefunden, dass das Herz darauf zart und zerbrechlich aussah, so gar nicht der kräftige Muskel, wie ich es gelernt hatte. Jetzt begriff ich, dass es beides war.
Mit diesem Gedanken im Kopf wandte ich mich zu Will und mein Herz schlug poch-poch-poch gegen meine Rippen. Ich wollte, dass Will junior mir genau zuhörte. Ich rückte ein Stück von ihm ab, legte das zerknitterte Bild zwischen uns und nahm sein Gesicht in die Hände, wie Lester es bei Lill gemacht hatte. Den Kopf eines anderen wie einen Basketball in den Händen zu halten, fühlte sich längst nicht so unangenehm an, wie ich gedacht hätte, obwohl es mir furchtbar peinlich gewesen war, Lester und Lill so zu sehen. Aber ganz anders als bei den beiden vorhin waren diesmal keine Küsse im Spiel.
Stattdessen schaute ich Will direkt in die Augen, ohne darauf zu achten, wie Fish uns von seinem Platz aus anglotzte. Will erwiderte meinen Blick, verwundert, und ich spannte meinen Herzmuskel an, denn ich fühlte in meinem Innern etwas zittern wie die blassgrüne Knospe einer Blume, die gerade ihr Frühlingserwachen erlebt. Doch was es auch war, es war noch zu neu, um es erblühen zu lassen, es brauchte Zeit, um Wurzeln zu bilden. Eines Tages würde ich blühen wie verrückt, und dann würde ich alles haben, was ich brauchte, um mich aufrecht zu halten.
»Ich mag dich, Will«, sagte ich. »Vielleicht mag ich dich sogar ganz richtig. Aber ich bin noch nicht so weit, dich zu küssen, weißt du?« Mein Herz klopfte so heftig von dem wahnsinnigen
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