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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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schlug noch ein letztes Mal zu, ehe sie zischend verschwand wie eine verlöschende Flamme.  
    Die lebende, atmende Carlene hörte auf, Lester mit Gegenständen zu bewerfen, und starrte ihn an, zum ersten Mal sprachlos, und als Bobbi, Fish und ich uns bewegten, fiel ihr wieder ein, dass sie ein Publikum hatte.  
    Ich hatte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube und die feinen Härchen in meinem Nacken fingen an zu kribbeln. Carlene schaute uns mehrmals an, von einem zum anderen, und ich sah, wie es ihr langsam dämmerte. Es war Zeit zu verschwinden.  
    »Du … meine … Güte. Lester, das sind ja die Kinder aus dem Fernsehen«, sagte Carlene langsam und leise wie das erste warnende Zischen einer Giftschlange. Lester schaute von Carlene zu uns, offenbar verwirrt.  
    »Aus dem Fernsehen?«, wiederholte er.  
    »Die Suchmeldung im Fernsehen …«, sagte Carlene und entfernte sich seitwärts, ohne uns aus den Augen zu lassen. »Die vermissten Kinder, Lester! Hast du ihnen geholfen abzuhauen?«  
    »W-was?«, stammelte Lester. »N-nein … ich meine, ja. Ich meine – nicht mit Absicht, Carlene. Ich k-kann das erklären!«  
    Aber Carlene griff schon nach dem Telefon. »Das kannst du der Polizei erklären, du hirnloser Tölpel.« Mit einem langen, spitzen Fingernagel malträtierte sie die Tasten des Telefons.  
    »Der P-Polizei?«  
    »Keine Polizei, Lester!«, rief ich und kam aus meiner Ecke des Raums gerannt. Ich packte Lester am Arm und versuchte ihn zur Tür zu ziehen. »Wir müssen nach Salina, Lester! Wenn wir nach Salina kommen, wird alles gut, aber wir müssen jetzt sofort los!« Bobbi, Fish und Will kamen mir zu Hilfe, und mit vereinten Kräften schoben und zogen wir Lester aus dem Wohnwagen und zurück in den Bus.  
    »Wir müssen los, Lester!«, riefen wir, drückten ihn in den Fahrersitz und Will zog die Tür hinter uns zu. Lester bewegte sich langsam, wie in Trance, startete den Bus und legte einen Gang ein, ohne richtig darauf zu achten, was er tat. Sein Gehirn versuchte immer noch zu erfassen, was Sache war, versuchte herauszufinden, ob er das Richtige tat.  
    »Was ist los?«, wollte Lill wissen; sie war im Bus geblieben, damit Lester seine Schlacht selbst schlagen konnte. Aber wir hielten uns nicht groß mit Erklärungen auf.  
    »Fahren Sie endlich!«, rief Bobbi, als Carlene mit ihrem schnurlosen Telefon am Ohr aus dem Wohnwagen kam, winkend und fingerzeigend, als könnte die Telefonistin am anderen Ende der Leitung uns wegfahren sehen.  
    Jetzt waren wir wieder auf dem Highway, Lester schwitzte wie ein Tier und Lill guckte angespannt, verwirrt und besorgt. Wir saßen alle ganz vorn auf unseren Sitzen und sahen aus dem Fenster, wir hielten Ausschau nach dem ersten Blinken der Lichter und horchten auf die ersten Töne von Sirenen hinter uns. Ich dachte wieder daran, dass das alles meine Schuld war, dass wir gar nicht hier wären, wenn ich nicht wäre mit meinem Schimmer, der über mich gekommen und mich in Teufels Küche gebracht hatte.  
    Da wurde mir plötzlich eiskalt, denn anstatt weiter darüber nachzudenken, wie trostlos mein Leben geworden war, bemerkte ich etwas noch viel Schrecklicheres, und das tat so weh, als würde mein Gehirn erstarren. Ich stand auf und schaute mich um, mein Herz setzte einen Schlag aus.  
    »Wo ist Samson?«  

30. Kapitel
     
    »Wo ist Samson?«, wiederholte ich panisch. Ich stolperte in den hinteren Teil des Busses und drehte Lesters Feldbett um. Die anderen kamen herbei, kippten die größeren Kisten um und schauten unter jedem einzelnen Sitz nach. Aber es war zwecklos. Samson hatte sich nicht irgendwo im Bus versteckt. Er war ganz einfach nicht da.  
    »Wir müssen zurück!«, riefen wir alle. »Wir müssen umkehren!« Aber Lester hielt das Lenkrad umklammert und starrte mit dem Blick eines Mannes auf die Straße, der sich damit abgefunden hat, dass sein Leben vorbei ist und dass er den Tag voraussichtlich im Gefängnis beschließen wird, weil er zwar das Richtige wollte, es aber falsch angepackt hat. Ich fühlte mich mies und dachte an meinen Schwur, auf Lill und Lester aufzupassen und sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Doch dafür konnte ich nicht meinen Bruder opfern; es war undenkbar, nicht umzukehren – selbst wenn die Polizei unterwegs war.  
    Lill erhob sich und stand in voller Größe zwischen uns Kindern und Lester, der sich immer weiter von dem Wohnwagenpark entfernte.  
    »Was ist hier los, Kinder?«,

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