Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
übertragen, es sind nur einige Webcams angekündigt, und vermutlich ist der eine oder andere Blogger in seinem Apartment geblieben, um an seinem Fenster sitzend exklusiv zu berichten. Von uns hat jedoch niemand vor, diese Webcams oder Blogs zu verfolgen, auch unsere Telefone haben wir jetzt abgeschaltet, um keine besorgten Anrufe mehr zu erhalten. Sollten die Prognosen stimmen, werden die Mobilfunknetze ohnehin in sich zusammenbrechen, in einem Artikel hieß es sogar, dass man nach dem Sturm nicht einmal mehr E-Mails versenden könne, aber das ist umstritten.
Anfangs dachte ich, dass ich an diesem Abend vielleicht einmal nichts trinken würde, aber das dachte ich nur kurz. Und es passt ja durchaus zu dieser bunten Garderobe, sich schwere Rum-Cola-Getränke zu mixen. Wir stellen uns mit den Gläsern in der Hand lose verteilt im Raum auf, jeder für sich, beinahe autark. Damit wir uns nicht in der riesigen Fensterscheibe spiegeln, haben wir alle Lichter ausgeschaltet. Wir blicken nach draußen.
Ab halb eins ist aus der Ferne ein Donnern zu hören, das von Minute zu Minute lauter wird. Im Wetterleuchten sehen die Gesichter regelrecht feierlich aus, selbst das von Frank. Alle Blicke sind auf den Ozean gerichtet. Dort ist zu sehen, wie die schwarze Wolkenfront von Moment zu Moment massiver wird, so als bäume sie sich auf. Nur Wesley blickt nicht die ganze Zeit durchs Fenster. Er schaut oft zu mir. Seine Haut wirkt zwar blasser als sonst, doch ich kann in seinen Augen keine Furcht erkennen, im Gegenteil, eigentlich ist dort ein fast euphorisches Glänzen wahrzunehmen, das ihn viel älter macht. Ich nicke ihm ernst zu, dann wird es dunkel, und erst als ein gewaltiger Blitz den Raum erleuchtet, nickt Wesley zurück. Frank drängt sich nun an seine Seite, die beiden halten sich im Arm, so wie man das gemeinhin tut, wenn man anzeigen möchte, dass man sich braucht. CarlaZwei und ich vereinbaren stillschweigend, nach einem kurzen Seitenblick zu Wesley und Frank, dass wir uns nicht im Arm halten wollen, nicht jetzt.
Aus dem Gebäude ist lange nichts zu hören, kein Fenster ist offen, kein Wind dringt ein. Als plötzlich eine Glasflasche zerspringt, steht dieses Zerspringen in keinem direkten Zusammenhang mit dem Sturm. Die Flasche fällt, weil sie zu nah an der Tischkante abgestellt wurde, wahrscheinlich von Frank, aber vielleicht auch von mir selbst. Während der Donner gleichförmig grollt, hole ich ein Kehrblech aus der Küche und fege die Scherben auf. CarlaZwei geht neben mir in die Hocke und legt ihre Hand auf meinen Rücken. Sie streichelt mich nicht, ihre Hand liegt nur so da, wie die von einem alten Freund. Ich drücke meine trockenen Lippen auf ihre Wange und sie schließt die Augen, um anzuzeigen, dass sie das genießt. Die anderen beiden beobachten uns nicht dabei. Sie stehen als ausdefiniertes Paar, wie zwei ineinander verschränkte Requisiten, vor dem rechteckigen Fenster zum Meer.
»Findet ihr nicht, dass es ruhiger wird?« , ruft plötzlich Frank, und mir fällt auf, dass nun tatsächlich schon eine ganze Weile kein Wetterleuchten mehr zu sehen war. Der Himmel rumort weiterhin, doch er wird nicht mehr lauter. Ich richte mich auf und halte das Scherbenblech vor mir in den Raum. Wesley verschränkt seine Arme.
Gegen drei Uhr zehn ist es windstill. Die dichte Bewölkung scheint sich aufzulösen, dabei hat es bislang noch gar nicht zu regnen begonnen. Die einzige Feuchtigkeit, die an unsere Fensterfront schlug, schien aus den Wellen herausgeweht zu sein, aber jetzt weht es ja nicht einmal mehr. Wesley geht als Erster nach draußen. Frank ruft ihm nach, dass er warten und aufpassen solle, doch in diesem Moment steht Wesley schon auf der Straße und reißt seine Arme in die Luft: »Es klart auf!« Wir folgen ihm. Altpapier und Pappe und Klarsichtfolie wurden aus den Müllcontainern geweht, im Grunde sieht es so aus, als habe am Fuße des Hotelturms ein kleines, privates Feuerwerk stattgefunden. Ich blicke die Straße hinunter. Zwei junge Männer stehen vor ihren Häusern und lachen, sie winken uns zu und heben ihre Daumen. Wir rufen, dass sie zu uns kommen können, schließlich haben wir noch genügend Fischsuppe und Drinks, aber die beiden scheinen uns gar nicht hören zu wollen und gehen wieder ins Haus.
»Ich glaube, der Sturm ist an uns vorbeigezogen« , sagt CarlaZwei mit ruhiger Stimme, und für einen Moment denke ich, dass sie diesen Satz nur metaphorisch meinen kann. Als ich ihr das sage, fährt sie mir
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