Schindlers Liste
nach den Stenogrammen gefertigten Protokoll. Er griff das auf seinem Geburtstag angesprochene Thema wieder auf, führte es jetzt aber weiter. Er sagte, die Häftlinge seien in Wahrheit diejenigen, die jetzt in ihr Erbe eingesetzt würden, und alle anderen — die SS, er selber, seine Frau, Fuchs, Schönbrunn und die anderen -seien der Rettung bedürftig. »Wir wissen jetzt, daß Deutschland bedingungslos kapitulieren wird. Nach sechs Jahren grauenhaften Mordens sind unzählige Opfer zu beklagen, und Europa wird jetzt zu Frieden und Ordnung zurückfinden müssen. Ich bitte Sie alle, die nächsten Stunden und Tage Disziplin zu halten, Sie, die Sie mit mir die schlimmen Jahre durchlebt haben. In einigen Tagen werden Sie in Ihre zerstörten, geplünderten Häuser zurückkehren und nach überlebenden Angehörigen suchen. Bis dahin achten Sie darauf, daß keine Panik entsteht, deren Folgen nicht vorherzusehen wären.«
Diese Aufforderung richtete sich weniger an die Häftlinge als an die SS; er forderte sie damit auf, aus dem Lager abzuziehen, und die Gefangenen forderte er auf, sie daran nicht zu hindern. General Montgomery, fuhr er fort, habe dazu aufgerufen, die Besiegten human zu behandeln und zwischen Schuldlosen und Schuldbeladenen zu unterscheiden.
»Die Soldaten an der Front und die einfachen Leute, die ihre Pflicht getan haben dort, wohin man sie stellte, sind nicht für das zur Rechenschaft zu ziehen, was eine bestimmte Personengruppe im Namen des deutschen Volkes angerichtet hat.«
Das war eine Rechtfertigung seiner Landsleute, die jeder Häftling, der diese Nacht überlebte, in den kommenden Jahren wieder und wieder zu hören kriegen sollte. Wenn irgendwer das Recht hatte, das auszusprechen und mindestens angehört zu werden, war es allerdings Oskar Schindler.
»Viele tausend Deutsche waren nicht damit einverstanden, daß Sie und die Ihren zu Millionen ermordet wurden, und auch heute noch wissen Millionen Deutsche nicht, was wirklich vorgegangen ist.« Die Einzelheiten über Dachau und Buchenwald seien erst vor kurzem von der BBC verbreitet worden, und viele Deutsche hätten »vom Ausmaß dieser grauenhaften Vernichtungsprozeduren« bis dahin nichts gewußt. Deshalb bat er seine Häftlinge noch einmal, sich menschlich und gerecht zu verhalten und die Bestrafung den Organen der Justiz zu überlassen. »Wollen Sie jemand anklagen, dann tun Sie es am richtigen Ort, denn in einem neuen Europa werden sich Richter finden, unbestechliche Richter, die Sie anhören.«
Er sprach dann darüber, was er mit seinen Gefangenen im vergangenen Jahr erlebt hatte, und das klang gelegentlich geradezu wehmütig, aber man muß bedenken, daß er sich nicht mit den Göths und den Hassebroecks in einen Topf werfen lassen wollte.
»Viele von Ihnen wissen, welche Mühe es mich gekostet hat, meine Arbeiter zu behalten, und das über Jahre hin. Es war schwierig genug zu verhindern, daß meine polnischen Arbeiter zwangsweise ins Reich verschleppt wurden, daß ihre bescheidenen Wohnungen und ihr Besitz geplündert wurden, aber die Mühe, meine jüdischen Arbeiter zu retten, war manchmal mehr, als ich bewältigen konnte.«
Er beschrieb einiges von dem, was er zu überwinden gehabt hatte, und dankte den Arbeitern dafür, daß sie ihrerseits den Anforderungen seiner Auftraggeber entsprochen hatten. Bedenkt man, was alles in Brünnlitz nicht produziert wurde, könnte das wie Ironie klingen, doch so war es nicht gemeint. Was der Direktor da seinen Arbeitern sagte, hieß im Klartext: Ich danke euch dafür, daß ihr mir geholfen habt, das Regime an der Nase herumzuführen.
Dann legte er ein gutes Wort für die Einheimischen ein. »Wenn in ein paar Tagen das Tor zur Freiheit geöffnet wird, vergessen Sie nicht, daß Ihnen so mancher aus der Nachbarschaft mit Nahrung und Kleidung geholfen hat. Rauben und plündern Sie nicht in der Nachbarschaft.
Zeigen Sie sich würdig der Millionen Ihrer Toten, und üben Sie nicht selber Rache und Terror aus.« Er gab zu, daß man seine Häftlinge hier nicht gern aufgenommen hatte. »Die Schindlerjuden waren Parias in Brünnlitz.« Doch es gebe Wichtigeres, als im Ort Rache zu nehmen. »Ich vertraue darauf, daß Ihre Vorarbeiter für Ordnung und Vernunft sorgen. Denken Sie an die Daubeksche Mühle, daran, wie er Ihnen mit Mehl ausgeholfen hat, mehr als man für möglich halten sollte. Ich danke ihm hier ausdrücklich dafür.
Mir sollen Sie nicht danken, vielmehr danken Sie Ihren Brüdern, die sich Tag und
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