Schindlers Liste
Eindruck, daß Schindler wegen der SS-Wachmannschaften nicht mehr in Sorge war, wäre aber entsetzt gewesen, hätte er gewußt, wie er diese Zuversicht noch am gleichen Tage demonstrieren würde.
Der 8. Mai war in der Werkshalle ein Tag wie jeder andere, bis Schindler durch Lautsprecher gegen Mittag die Ansprache in die Werkshalle übertragen ließ, die Churchill aus Anlaß des Sieges der Alliierten hielt. Lutek Feigenbaum, der Englisch verstand, erstarrte neben seiner Drehbank zur Salzsäule. Für andere bedeuteten die ihnen unverständlichen Laute die erste Bekanntschaft mit einer Sprache, die sie künftig in der Neuen Welt selber würden sprechen müssen. Man hörte diese in ihrer Art ebenso aufreizende Stimme wie die Hitlers am Lagertor und auf den Wachtürmen, doch die SS-Leute nahmen das gelassen hin. Was im Lager geschah, interessierte sie schon nicht mehr, sie hielten Ausschau nach den Russen, ganz wie Schindler, nur angestrengter. Eigentlich hätten sie, Hassebroecks Befehl ausführend, die Häftlinge im Wald erschießen sollen, statt dessen suchten sie den .Waldrand nach möglicherweise auftauchenden Partisanen ab. Der rastlose Oberscharführer Motzek und die Pflicht hielten sie auf den Wachtürmen fest. Pflichterfüllung bis zum letzten war ihr Ideal, wie ihre höchsten Führer später vor Gericht versicherten.
In den beiden Tagen der Ungewißheit zwischen der Ankündigung und dem Eintreten des Waffenstillstandes fertigte der Juwelier Licht für Schindler ein Geschenk an, das sehr viel angemessener war als das Kästchen, das man ihm zum Geburtstag überreicht hatte. Licht stand für seine Arbeit Gold zur Verfügung, das ihm der alte Herr Jereth von der Kistenfabrik übergeben hatte. Alle wußten und waren damit einverstanden, daß Schindler gleich nach Mitternacht am 8.Mai die Flucht antreten sollte. Stern, Finder, Garde, die Brüder Bejski und Pemper versteiften sich darauf, daß dies mit einer gewissen Feierlichkeit zu geschehen habe, und es ist bemerkenswert, daß diese Menschen, die doch immer noch nicht wußten, ob sie den Frieden noch erleben würden, daran dachten, Schindler ein Abschiedsgeschenk zu machen.
Weil sie nur wertloses Material zur Verfügung hatten, kam Jereth darauf, seine goldenen Brücken zur Verfügung zu stellen. Mit der Begründung, die wären längst bei dem übrigen Zahngold der Juden in der Reichsbank gelandet, wenn Schindler nicht wäre, ließ er sie sich von einem Krakauer Dentisten entfernen. Licht schmolz das Gold und versah am Mittag des 8. Mai den Ring auf der Innenseite mit einer hebräischen Inschrift, jenem Vers aus dem Talmud, den Stern im Oktober 1939 im Büro der Firma Bucheister vor Schindler zitiert hatte:
»Wer auch nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.« Zwei andere Häftlinge waren an jenem Nachmittag in einer der Garagen damit beschäftigt, in den Türverkleidungen von Schindlers Mercedes Diamanten zu verstecken. Auch diese beiden empfanden den Tag als bemerkenswert. Als sie aus der Garage traten, stand die Sonne in Höhe der Wachtürme mit den schußbereiten Maschinengewehren, die irgendwie nutzlos wirkten. Es war, als warte die Welt auf ein entscheidendes Wort.Das kam erst am Abend. Wie schon an seinem Geburtstag ließ Schindler die Häftlinge durch den Lagerkommandanten in der Werkshalle versammeln, wieder waren die Zivilangestellten dabei, deren ganzer Sinn jetzt auf Flucht gerichtet war, darunter auch Ingrid, Schindlers alte Freundin. Die wollte ihn jetzt nicht begleiten, sondern sich mit ihrem Bruder, der verwundet war, auf den Weg machen. Man darf annehmen, daß Schindler ihr Wertsachen zugesteckt hat, die es ihr möglich machten, sich unterwegs das Notwendigste einzutauschen. Jedenfalls rechneten beide darauf, daß sie sich später im Westen wiedersehen und gute Freunde bleiben würden.
Wie schon anläßlich seiner Geburtstagsfeier standen die bewaffneten Wachmannschaften an den Wänden der Halle. Noch sollte der Krieg sechs weitere Stunden dauern, und die SS hatte überdies Befehl, sich niemals zu ergeben. Die Häftlinge rätselten darüber, in welcher Gemütsverfassung die sich befinden mochten.
Als bekannt wurde, daß der Direktor eine Rede halten würde, nahmen zwei weibliche Häftlinge namens Waidmann und Berger, die stenografieren konnten, Bleistift und Papier zur Hand. Schindler sprach frei, und was ein Mann, der in Kürze auf der Flucht sein würde, zu sagen hatte, nahm sich gesprochen viel eindringlicher aus als in dem
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