Schindlers Liste
Häftling Nr. 77 196, der Goleszow überlebt hatte. Dazu kamen die Frauen, von Nr. 76201, Berta Aftergut, 29 Jahre alte Metallarbeiterin, bis Nr. 500, Jenta Zwetschenstiel, 36 Jahre alt.
Schindler hatte Leipold am Vorabend seines Geburtstages zum Essen eingeladen, wobei er weitere Punkte gegen den Kommandanten sammelte, als dieser gegen elf Uhr nachts total betrunken durch die Werkshalle taumelte und den dort arbeitenden Häftlingen lauthals androhte, sie allesamt an den Deckenbalken aufhängen zu lassen. Schindler beruhigte ihn und brachte ihn nach Hause. Tags darauf allerdings hing er am Telefon und berichtete Hassebroeck und anderen von diesem Vorfall. »Der Mann kommt hier betrunken in die Werkshalle und droht mit sofortiger Liquidierung meiner Leute! Dabei sind das Spezialisten, auf die ich keinesfalls verzichten kann! Schließlich stelle ich Zubehör für Geheimwaffen her!« Und Hassebroeck, auf dessen Konto der Tod Tausender Steinbrucharbeiter kam und der die feste Absicht hatte, vor Eintreffen der Russen noch sämtliche Juden ermorden zu lassen, gestand Schindler zu, daß seine Leute bis dahin ungeschoren bleiben sollten. Schindler fügte nun hinzu, Leipold äußere immer wieder den Wunsch, endlich an die Front abkommandiert zu werden, und schließlich sei er jung und gesund, es stehe wohl der Erfüllung dieses Wunsches nichts im Wege? Hassebroeck versprach, sich das mal durch den Kopf gehen zu lassen.
Leipold schlief unterdessen den Rausch aus, den er sich abends zuvor angetrunken hatte.
Schindler benutzte die Gelegenheit, eine verblüffende Ansprache zu halten. Er hatte seinen Geburtstag schon seit dem frühen Morgen ausgiebig gefeiert, doch die Zeugen dieser Ansprache bemerkten an ihm kein Zeichen von Trunkenheit. Der Wortlaut liegt nicht vor, doch von der Rede, die er am Abend des 8. Mai, zehn Tage später also, gehalten hat, gibt es eine Aufzeichnung. Diejenigen, die beide Reden gehört haben, behaupten, daß sie einander sehr ähnlich gewesen seien.
Es handelte sich dabei nicht um Ansprachen im üblichen Sinne, vielmehr um den Versuch, den Gegebenheiten entsprechend das Bild, das einerseits die Häftlinge, andererseits die Wachmannschaften von sich selber hatten, der Wirklichkeit anzupassen. Er hatte ja früher schon einigen Arbeitern, darunter Edith Liebgold, eigensinnig versichert, sie würden das Kriegsende überleben. Und als im November 1944 die Frauen aus Auschwitz in Brünnlitz eintrafen, hatte er bei ihrer Begrüßung gesagt: »Ihr seid jetzt sicher, bei mir seid ihr gut aufgehoben.« Zu anderer Zeit und unter anderen Umständen hätte aus Schindler einer jener Demagogen werden können, die es verstanden, ihre Zuhörer davon zu überzeugen, daß sie und er gemeinsam dem Schicksal widerstehen könnten, das von übelwollenden Zeitgenossen für sie geplant war. Schindler sprach auf deutsch zu den abends in der Werkshalle versammelten Häftlingen, die von einer Abteilung der SS-Wachmannschaften beaufsichtigt wurden; auch die deutschen Zivilangestellten waren zugegen.Nach Schindlers ersten Worten schon standen Pfefferberg die Haare zu Berge, denn er dachte bei einem Blick auf die bewaffneten SS-Leute: Jetzt bringen sie diesen Mann mit Sicherheit um, und dann ist für uns alles zu Ende.
Schindler eröffnete seinen Zuhörern zwei Perspektiven: Erstens gehe die Herrschaft des Tyrannen nunmehr zu Ende. Er redete die SS-Leute an, als setze er voraus, daß auch sie den Tag der Befreiung von der Tyrannei herbeisehnten. Viele von ihnen, so erläuterte Schindler seinen Häftlingen, seien nicht freiwillig der SS beigetreten, sondern gezogen worden. Die zweite Perspektive war, daß er bis zum Ende der Feindseligkeiten mit ihnen in Brünnlitz bleiben werde »und noch fünf Minuten darüber hinaus!« Den Häftlingen versprach er damit, daß sie überleben, daß sie nicht in Massengräbern im Wald verscharrt werden würden, und das stärkte ihre Moral beträchtlich. Wie die anwesenden SS-Leute das aufnahmen, kann man nur vermuten. Genau besehen hatte er sie an einer empfindlichen Stelle getroffen, ihrem Korpsgeist. Wie sie darauf reagieren würden, blieb abzuwarten. Auch hatte er ihnen klargemacht, daß er ebensolange in Brünnlitz bleiben wolle wie sie und daß er mithin Zeuge sein würde.
So sorglos, wie er sich gab, fühlte Schindler sich allerdings nicht. Er hat später zugegeben, daß er Übergriffe von Seiten zurückgehender deutscher Verbände auf sein Lager befürchtete.
»Ich hatte auch Angst
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