Schindlers Liste
Hügel hinter dem Lager. Hier standen Lilien und Anemonen in Blüte, Zugvögel kamen aus dem Süden. Danka setzte sich ins Gras und genoß den Tag, sog die süße Luft ein, schaute in den Himmel. Dort blieb sie lange, so lange, daß ihre Eltern schon fürchteten, ihr sei in Brünnlitz etwas passiert, entweder durch die Einheimischen oder durch die Russen.
Goldberg ging als einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste, ihn zog es nach Krakau zu seinen Schätzen. Sobald wie irgend möglich wollte er nach Brasilien auswandern.
Die meisten älteren Gefangenen blieben im Lager. In Brünnlitz waren jetzt die Russen, der Stab lag in einer Villa oberhalb des Ortes. Sie ließen Pferdefleisch ins Lager schaffen, das von den Gefangenen verschlungen wurde, aber nach der Diät aus Hafermehl, Gemüse und Brot nicht allen bekam.
Feigenbaum, Dresner und Sternberg gingen nach Brünnlitz, sich umsehen. Auf den Straßen patrouillierten tschechische Partisanen, und die ortsansässigen Deutschen fürchteten sich vor den Häftlingen. Man bot ihnen einen Sack Zucker an, und Sternberg war so gierig darauf, daß er ihn händeweise aus dem Sack aß. Davon wurde er krank. Ebenso wie die Schindlergruppe in Nürnberg und Ravensburg entdeckte er, daß man sich der Freiheit und der Fülle nur vorsichtig nähern durfte. Eigentlich wollte man in Brünnlitz Brot beschaffen. Als der Bäcker versicherte, er habe keines, bedrohte Feigenbaum ihn mit der Pistole und drängte ihn rückwärts aus dem Laden in seine Wohnung, wo er versteckte Vorräte vermutete. Hier kauerte die verschreckte Bäckerin mit ihren beiden Töchtern; sie sahen die Häftlinge ebenso entsetzt und angstvoll an, wie die Juden bei Aktionen im Getto die SS-Leute angeschaut hatten.Feigenbaum war tief beschämt, er grüßte kurz und verließ das Haus.
Mila Pfefferberg erging es bei ihrem ersten Besuch im Ort nicht viel besser. Als sie auf den Ring kam, hielt ein tschechischer Partisan zwei junge sudetendeutsche Frauen an und zwang sie, ihre Schuhe auszuziehen. Mila, die Holzschuhe trug, solle sich ein passendes Paar auswählen. Sie geriet in große Verlegenheit und wählte ein Paar Schuhe aus. Der Partisan schob der Besitzerin die Holzschuhe hin. Und schon lief Mila hinter den beiden her und gab die Schuhe zurück. Dafür bedankten sich die beiden nicht einmal, wie Mila noch weiß. Bei Dunkelheit kamen Russen ins Lager auf der Suche nach Frauen. Pfefferberg mußte Frau Krumholz mit der Pistole vor einem Soldaten schützen. (Frau Krumholz hat Pfefferberg das noch jahrelang im Scherz verübelt: »Da hatte ich nun mal Gelegenheit, mich mit jungen Männern einzulassen, aber er hat mir jedesmal den Spaß verdorben!«) Zwei oder drei junge Frauen gingen mehr oder weniger freiwillig mit den Russen und kamen nach drei Tagen, in denen sie sich, wie sie sagten, sehr gut amüsiert hatten, zurück.
Im Lager zu bleiben, bedeutete die totale Resignation, und im Laufe der Woche zogen die Gefangenen gruppenweise ab. Diejenigen, deren Angehörige ermordet worden waren, wandten sich nach Westen in dem Wunsch, niemals mehr nach Polen zurückzukehren. Die Brüder Bejski schlugen sich dank ihres Wodkas und der Stoffe bis nach Italien durch und bestiegen ein Schiff der Zionisten nach Palästina. Dresners wanderten durch Böhmen nach Deutschland, und ihr Sohn Janek war unter den ersten zehn Studenten, die sich an der Universität Erlangen einschrieben, als diese im Jahr darauf geöffnet wurde. Manci Rosner kehrte zurück nach Podgorze, wo sie mit Henry verabredet war. Der befand sich mit seinem Sohn Olek in München, wohin er von Dachau aus gegangen war, und traf zufällig in einem Pissoir einen an seiner Kleidung erkenntlichen ehemaligen KL-Häftling. Dieser Mann sagte Rosner, in Brünnlitz hätten alle bis auf eine alte Frau überlebt. Manci erfuhr aus der Zeitung, daß ihr Mann noch lebte; die Namen der in Dachau befreiten polnischen Häftlinge waren veröffentlicht worden.
Regina Horowitz erging es ähnlich. Drei Wochen war sie mit ihrer Tochter Niusia aus Brünnlitz nach Krakau unterwegs.
Hier mietete sie ein Zimmer - sie bezahlte mit dem Brünnlitzer Stoff und wartete auf Dolek, ihren Mann. Als er eintraf, stellten sie Erkundigungen nach dem kleinen Richard an, konnten aber nichts in Erfahrung bringen. Im Sommer sah sie den Film, den die Russen über Auschwitz gedreht hatten und der polnischen Bevölkerung kostenlos vorführten.
Es kamen die Bilder der Kinder, die hinter dem Stacheldraht
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