Schischkin, Michail
sei, eine Dame von
Welt, und wenn Mischka ihren Sohn tatsächlich liebe, so müsse sie um seines Glückes
willen auf ihn verzichten. Mischka hat ihm einen Abschiedsbrief geschickt, in
dem sie schrieb, sie würden sich von nun an nie wieder sehen, er sei frei, doch
sie liebe ihn ewiglich.
Ich weiß
nicht, ob ich das alles glauben soll. Bis jetzt hat Mischka jedenfalls noch nie
gelogen.
Bin im
Lazarett gewesen.
Regenwolken,
grau wie Krankenkittel.
Mir ist
schwer ums Herz. Dachte die ganze Zeit an Alexej. Er ist mit Sascha befreundet
und kommt darum hin und wieder zu Besuch, schenkt mir jedoch keinerlei Beachtung.
Ich ihm natürlich auch nicht. Entweder er ist schüchtern oder langweilig. Vermutlich
Letzteres.
31. August
1915. Montag
Petja
Nasarow ist wieder aufgetaucht. Hat sich sehr verändert, ist erwachsener
geworden. Von Sjoma hieß es zuerst, er sei gefallen, aber dann kam eine Karte
über das Rote Kreuz. Er ist in deutscher Gefangenschaft.
4.
September 1915. Freitag
Heute war
Alexej wieder da. Wäre er doch lieber nicht gekommen! Ich war gerade erst aus
der Schule zurück - noch nicht umgezogen, in dem grässlichen braunen Kleid und
der schwarzen Schürze - Tintenfleck an der Hand! Wir prallten in der Diele
aufeinander - ich aus der Toilette kommend, vor Schreck, dass er mich so sieht
und womöglich das Geräusch der Toilettenspülung hinter mir hört, völlig konfus,
zwinkernd, mit verschwitzten Händen - kriege kein Wort heraus. Während Sascha
und er gleich etwas zu besprechen haben in meiner Gegenwart - nämlich dass im
Treppenhaus ihrer Universität ein Briefkasten aufgestellt worden sei mit der
Aufschrift: Sexuelle Umfrage - man soll anonyme Auskünfte über
sein Geschlechtsleben einwerfen. Ich stand da, puterrot, wie eine Idiotin. Mir
schossen die Tränen. Wie der Blitz war ich weg. Ich hasse mich!
8.
September 1915. Maria Geburt
Aus meinem
Bruder ist ein richtiger Mann geworden. Er schabt sich das Kinn.
Alle sind
sie erwachsen - Katja, Mascha...
Und ich?
Gehe nun in die Absolventenklasse des Gymnasiums. Und was muss ich feststellen?
Ich werde angebetet! Habe eine Verehrerin in einer der unteren Klassen. Musja
Swetlizkaja ist in Liebe zu mir entbrannt und sucht dem Überschwang ihrer
Gefühle auf jede erdenkliche Weise Ausdruck zu geben. Läuft mir in der Pause
nach wie ein Hündchen, schmiegt sich an, küsst mir die Hände! Anfangs gefiel
mir das, aber mit der Zeit geht es auf die Nerven. Und vor allem kann ich sie
überhaupt nicht loswerden! Heute Morgen auf dem Schulweg kaufte ich ihr ein
Täfelchen Schokolade mit Cremefüllung, die gleiche, die ich als Kind so
mochte, in dem bunten Papier mit den zwei Laschen. Zieht man an der einen,
springt neuerdings das boshafte Konterfei von Kaiser Wilhelm hervor, zieht man
die andere, erscheint der gelockte Schopf des Donkosaken Kosma Krjutschkow,
dieses Tausendsassas. Als ich die Tafel Musja schenkte, hätte sie vor Glück
beinahe losgeheult.
Ach Gott,
wenn ich doch auch jemanden so lieben könnte!
10.
September 1915. Donnerstag Das Wetter ist grauenvoll.
Alexej war
wieder da. Ich scheine Luft für ihn zu sein. Danke, gleichfalls! Er missfällt
mir immer mehr. Was ist das - Hochmut?
Wichtigtuerei?
Glaubt er, ich wäre noch nicht reif für ihre hochtrabenden Reden? Ich
verzichte!
12. September
1915. Samstag
Nun ist es
passiert. Ich bin verliebt! Und wie! Natürlich war ich es vom allerersten
Augenblick an, damals auf der Rollschuhbahn. Wollte mich bloß vor mir selbst
verstecken - aus Furcht, mich zu verletzen, mir wehzutun. Das mit Shenja war
eine Albernheit. Kinderei! Shenja ist ein Kind, ein kleiner Junge. Ich wusste
einfach noch nicht, was Liebe heißt!
Alexej!
Aljoscha! Welch schöner Name!
Was für
ein wundervoller Tag!
13. September
1915. Sonntag
Heute mit
Aljoscha im Elektrotheater Renaissance gewesen, Stenka
Rasin gucken. Ich habe dagesessen und gar nichts mitbekommen - restlos
gefangen von seiner Nähe, seiner Hand auf meiner Hand.
Wie er
mich zu küssen versteht! Erst mit ihm, mit meinem Aljoscha, habe ich erfahren,
was der Kuss eines Mannes ist! Das ist unvergleichlich! Seit zwei Tagen bin ich
wie im Fieber.
Und noch
etwas Hochwichtiges: Auf dem Nachhauseweg erzählte mir Aljoscha, die Studenten
hätten einen Theaterzirkel gegründet und bereiteten eine
Wohltätigkeitsveranstaltung vor. Er selbst tritt nicht auf, ist nur für die
Beleuchtung zuständig. Ob ich nicht mitspielen wolle, hat er mich gefragt.
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