Schischkin, Michail
davon. Und
ich stieg auf einen hohen Berg, wo keine Sonne strahlt, kein Gehölz sprießt und
kein Gras, allweil nur garstiges, zischendes, zähneknirschendes Getier. Die mit
den Zähnen knirschten, waren Aspiden, Hydren, Wyvern und Basilisken. Auch
andere Reptilien sah ich, deren Namen ich oft nicht wusste. So ging ich vier
Tage, Zischen in den Ohren. Ich verstopfte sie mit Wachs, da ich das
Schlangenpfeifen zu ertragen nicht imstande war.
Frage: Entspricht
das der Wahrheit?
Antwort: Hier sehen
Sie noch das Wachs in meinen Ohren. Alsdann ging ich noch weitere fünfzig
Tage, ohne zu wissen wohin, und stieß auf eine Scholle von Eis, ellendick. Mich
durchbeißend, querte ich das Land.
Frage: Wo, wann und
wie überschritten Sie die Grenze?
Antwort: Ich kam an
einen großen Fluss und trank mich satt an seinem Wasser, das war so süß, dass
mir die Lippen klebten, süßer noch als Honig und Honigwaben. Und als die neunte
Stunde schlug, ergoss sich Licht in diesen Fluss, siebenmal heller als das
Tageslicht. Und Winde wehten in dem Land: Der Westwind war grün und der von
Sonnenaufgang her fuchsrot, der von Norden aber rot wie frisches Blut und der
von südwärts weiß wie Schnee.
Frage: Sind Sie
sicher, dass alles so gewesen ist, wie Sie sagen?
Antwort: Jener
Fluss war so breit als wie der Himmel, der sich darin spiegelte, so bodenlos
tief wie ein huschender Augenblick. Und als ich mich anschickte überzusetzen,
da schnaubte der Fluss und sprach: Hier ist kein Durchkommen für dich, kein
Mensch kann meine Wasser queren. Sieh doch, was über den Wassern ist. Ich sah
hin und erblickte eine Wand aus Wolken, die vom Wasser in den Himmel ragte. Und
eine Wolke sprach: Kein Vogel dieser Welt durchdringt mich und kein Windhauch,
geschweige ein anderer.
Frage: Wie sind
Sie dann über die Grenze gelangt?
Antwort: Da betete
ich zu Gott, dem Herrn, und zwei Bäume sprossen aus der Erde, die waren
wunderhübsch geziert und voll duftender Früchte. Und der eine, diesseits am
Ufer stehend, neigte sich herab zu mir, hieß mich in seinen Wipfel steigen,
dann hob er mich empor und neigte sich hinüber zur Mitte des Flusses. Dahin kam
ihm der andere Baum entgegen, nahm mich auf in seinen Wipfel, bog sich zur
anderen Seite, setzte mich ab. Dergestalt erhoben sich die Bäume und brachten
mich über den Fluss.
Frage: Na schön.
Von mir aus... Aber wie alt sind Sie überhaupt? Sie haben hier »neunzehn Jahre«
angegeben. Wie alt sind Sie wirklich?
Antwort: Ich war
165 Jahre alt, da zeugte ich meinen Sohn Methusalem, seither blieb ich noch
200 Jahre am Leben und bin jetzt 365 Jahre alt.
Frage: Wie ging
es weiter?
Antwort: Die erste
Nacht des Monats Nissan schlief ich. Und im Schlaf befiel mein Herz eine große
Trübsal. Und weinend sprach ich im Traum, da ich den Grund für meine Trauer
nicht zu fassen wusste: Was wird aus mir? Wachte auf, lag lange schlaflos, nass
vom Schweiß. Wusste erst einmal nicht, wo ich war. Dann fiel es mir ein. Ich
wollte weglaufen irgendwohin, da mir nun war, als wäre ich ein anderer, nicht
ich selbst. Um mich her Schniefen und Schnarchen. Irgendwo tropfte Wasser. In
der Ferne ein vorüberfahrendes Auto. Plötzlich hörte ich eine Uhr. In ihrem
Innern reges Leben. Ich setzte die Mütze auf, warf mir die Jacke um die
Schultern, ging hinaus. Trat auf eine gefrorene Pfütze. Das Eis splitterte
fächerförmig.
Frage: Und da, in
jener Winternacht - ein April, in dem noch der Märzmoder steckte - hat das
alles angefangen?
Antwort: Ich weiß
nicht. Ich nahm die Mütze ab - der Schweiß war schnell getrocknet. In der
Dunkelheit beim Wachpilz bewegte sich etwas. Jemand rief mich: Enoch, bist dus?
- Ja, antwortete ich. Komm her! Ich hab eine Büchse Kondensmilch. Gezuckert!
Ich ging hin, ohne zu wissen, wer das war. Er öffnete die Büchse mit dem
Bajonett. Wir begannen das Zeug zu schlecken. Tunkten den Finger ein und
leckten ihn ab.
Frage: Wieso
ausgerechnet Enoch?
Antwort: So hieß
ich seit eh und je: im Kindergarten, in der Schule, bei der Armee. Mein Nachname
ist Enochin. Alle sagten Enoch zu mir.
Frage: Und
wussten doch nichts von den Behältern der Wolken, den Behältern des Taus? Ganz
zu schweigen von dem, was zwischen Verweslichkeit und Unverweslichkeit ist?
Antwort: Was meinen
Sie? Ich verstehe nicht.
Frage: Schon gut.
Wir haben nicht mehr viel Zeit - auf allen Schiffen, den fahrenden wie den
gesunkenen, werden die Glasen geschlagen. Wissen Sie was, erzählen Sie doch
gleich einmal davon, wie der
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