Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
spielten? Nach jedem Schuss hatte der Ball eine Delle, die
sich langsam wieder ausbeulte - so als atmete der Ball, holte durch seine
Löcher Luft... Zuletzt hielt es auch den Grauen nicht mehr auf seinem Sessel,
er sprang auf und versetzte dem Ball einen solchen Tritt, dass er nunmehr einem
Gummimützchen ähnelte. Empfinden Sie diese Episode denn nicht als schön?
Natürlich nicht die Art Schönheit, die einen aus der Auslage des Zeitungskiosks
anlacht, nein, eine wahrhafte, lebendige Schönheit. Ganz abgesehen davon, dass
diese Männer in Stiefeln und blauen Unterhosen, die da auf dem
scherbenübersäten Krankenhaushof dem Ballmützchen nachjagen, ein Opfergelübde
abgelegt haben. Bereit, sich - ihre Wolkenhirne, ihren Pulsstrom, ihren
Atemwind - für andere, für das Vaterland hinzugeben. Und das soll nicht schön
sein? Waren jene zwei denn nicht schön, die mit einem Bündel Brennholz fürs
Opferfeuer zu Berge stiegen, ein alter Mann und ein ganz junger, und der Junge
will von seinem Vater immerzu wissen, wo denn das Opferlamm sei, und bekommt
zur Antwort: Wart s ab, du wirst sehen? So auch hier: Im Pulk, als
verschwitzter, braun gebrannter Haufe, poltern sie mit schweren Stiefeln über
den Asphalt, schlittern über Glasscherben - im Glauben, sie liefen dem Ball
einfach so hinterher, um ihm den Stiefel in den Wanst zu treten, dass es kracht
- aber das scheint ihnen nur so. Vom Krankenhaushof folgen sie dem Ball, der
Luft lässt, seinen Geist aufgibt, auf den zerfahrenen Feldweg, und weiter durch
Kornfeld und Birkenwald. Manchmal, wenn jemand den Ball auf ein Garagendach
gepfeffert hat, bleiben sie stehen, um zu verschnaufen, und während einer mit
den Stiefeln übers Blechdach poltert, fragen sie, wie zur Besinnung kommend:
Sag mal, Grauer, wo ist eigentlich das Opfer? Wo ist das Lamm? - Wartet es ab,
das erfahrt ihr schon noch!, erwidert er, im selben Moment wird der Ball vom Dach
herabgeworfen, und der fröhliche Haufe bolzt weiter. Stiefel trampeln durch
das Kornfeld, durch den Birkenwald. Und ab morgen ist immer Krieg.
    Antwort: Wie
schnell es dunkel geworden ist.
    Frage: Macht
nichts, dämmern wir ein bisschen vor uns hin.
    Antwort: Still
haben Sie es hier. Ein bisschen Glockengetön. Da weiden Kühe im Nebel.
    Frage: Ja, hier
ist es still.
    Antwort: Aber sagen
Sie mal, warum schreiben Sie das überhaupt alles auf, was ich sage, wenn es
doch sowieso keinen Zweck hat? Genug jetzt, wird es irgendwann heißen, Schluss
mit der Kuhglockenoper, verschwinde! Das kriegen am Ende alle zu hören, so
viel weiß ich.
    Frage: Ich
schreibe, damit etwas von Ihnen bleibt.
    Antwort: Sie
meinen, was Sie da aufschreiben, ist das, was von mir bleibt, wenn ich weg bin?
    Frage: Jawohl.
    Antwort: Wogegen
das, was Sie nicht aufschreiben, mit mir verschwindet? Nichts davon bleibt?
    Frage: So ist es.
Nichts bleibt.
    Antwort: Und ich
darf über alle und jeden erzählen?
    Frage: Ja, aber
wir haben sehr wenig Zeit. Erzählen Sie von denen, die Ihnen lieb sind.
    Antwort: Von Mama?
    Frage: Zum
Beispiel.
    Antwort: Gut. Aber
da muss ich mich konzentrieren. Das Wichtigste in Erinnerung rufen. Ich weiß
noch, wie ich als Kind einmal am Einschlafen war und gerade noch mitkriegte,
wie sie hereinkam, und das wohl im Pelzmantel, denn es wurde kalt im Zimmer.
Haben Sie das?
    Frage: Ja. Ist
das alles?
    Antwort: Sie dürfen
mich nicht treiben. Ich verliere so schon den Faden.
    Frage: Vielleicht
das mit den Pralinenschachteln und dem Eis?
    Antwort: Ach ja,
natürlich. Mama arbeitete in einem Laden und brachte öfter mal eine Schachtel
überlagerte Pralinen nach Hause. Das heißt, die sie mitbrachte, waren immer
ganz frisch, die alten verkaufte sie den Leuten. Sie hatte es faustdick hinter
den Ohren. Später bekam sie eine Anstellung als Eisverkäuferin mit fliegendem
Stand, doch gleich am ersten Abend betrank sie sich, verteilte ihr Eis
kostenlos und schlief über dem Kübel ein. Aber hören Sie, das ist doch alles
nebensächlich! Sie bringen mich ganz durcheinander.
    Frage: Was noch?
    Antwort: Ich
entsinne mich, wie ich im Krankenhaus lag und meine Eltern mich nicht besuchen
durften - Quarantäne. Mama kam und stand unten vorm Haus, ich hinterm Fenster,
sie schrie irgendwas herauf, was aber nicht zu hören war - das Fenster ging
nicht auf, selbst die Lüftungsklappe war zugeklebt. Wir kamen auf die Idee, in
Großbuchstaben auf ein Blatt Papier zu schreiben, was sie für uns abgeben
sollten, und hielten es gegen die Scheibe. Doch noch am selben Tag

Weitere Kostenlose Bücher