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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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froren die
Scheiben zu.
    Frage: Wissen
Sie, warum Ihre Mutter Ihnen den Vornamen Ihres Vaters gab?
    Antwort: Nein.
    Frage: Sie
stellte sich vor, sie würde eines Tages, wenn Sie ein bisschen größer wären und
in einer Horde Rotznasen unterwegs, genauso nach Ihnen rufen wie einst nach ihm
- genauso freudig - nur um zu sehen, wie Sie sich umdrehen. Wissen Sie etwas
über Ihren Vater?
    Antwort: Gar
nichts. Es hat mich auch nie interessiert. Dieses Schwein. Hat uns sitzen
gelassen, da war ich noch gar nicht geboren. Er ist tot. Ich weiß noch, dass
es Winter war, als er starb, in einer anderen Stadt, im Frühjahr sind Mama und
ich hingefahren. Im Zugabteil saß so ein komischer Alter, über und über
tätowiert. Der sagte, aus dem Fenster auf die Gleise starrend, auf einmal: Hier
liegt unter jeder Schwelle einer begraben. Als wir auf den Friedhof kamen, war
der Schnee weg, der Boden aufgetaut, und statt eines Grabhügels gab es eine
Kuhle. Wir standen vor dem auf meinen Vater gesackten Lehm, Mama drückte mich
an sich und sagte: »Nun haben wir also keinen Papa mehr.« Als hätten wir vorher
einen gehabt... Irgendwie fällt einem gar nichts ein, wenns drauf ankommt. Da
ist so viel passiert, aber was davon zu erzählen lohnte - keine Ahnung.
    Frage: Erzählen
Sie von etwas anderem. Lasen Sie gern?
    Antwort: Früher ja.
Ich hatte mal ein Buch mit Darstellungen, woraus der Mensch besteht. Fünf
kleine Nägelchen bedeuteten: So und so viel Eisen steckt in unserem Organismus.
Ein Salznäpfchen hieß: so und so viel Salz. Dasselbe mit kleinen Schöpfkellen,
Reagenzgläsern, Tüten und so weiter. Außerdem mochte ich Seefahrergeschichten.
Die Stundenglocken auf den Schiffen fand ich wunderbar. Mein Lieblingsbuch war
eines über Geschichte, es handelte von Fürst Wassili, dem von seinem Cousin die
Augen ausgestochen wurden. Ich las es und dachte: Was waren das damals für
bestialische Zeiten. Die Menschen müssen grausam und brutal gewesen sein.
    Frage: Und was
geschah damals mit dem Tischtennisball auf der Datscha?
    Antwort: Ach, das
war nichts weiter. Ich hatte der alten Nachbarin die Lupe geklaut und sengte
damit Ameisen an. Ich weiß sogar noch, was mir dabei durch den Kopf ging: Ha!,
dachte ich, da kriecht eine Ameise und ahnt von nichts, während ich schon weiß,
dass in kürzester Zeit - zack! - der Brennpunkt der Sonne auf sie fallen wird.
Falls ich sie nicht doch verschone und eine andere aussuche. Vollstrecken oder
verschonen - alles in meiner Hand. Die einen richte ich hin, die anderen
begnadige ich. Sie können nichts dafür. Und nichts daran ändern. Ich, der
Lenker des Ameisenschicksals! In dem Moment pfiff jemand. Ich drehte mich um.
Es war Lenka, die Nachbarstochter. Sie stand am Zaun. In der einen Hand
Federballschläger, in der anderen einen Tischtennisball. Sie fragte, ob ich
mitspielen wolle. So kam das. Aus dem Spiel wurde nichts Rechtes, wir liefen
zum Fluss und spuckten von der Brücke ins Wasser. Was gibt es da groß zu
erzählen? Es war in den Sommerferien in Bykowo, wir führten Krieg gegen die
Waldschule, Kiefernzapfen flogen über den Zaun hin und her. Mit dem Federballschläger
ließen sich die Zapfen wunderbar verschießen. Die zischten ab wie Gewehrkugeln.
Ich versteckte mich mit Lenka im Gebüsch. Bergeweise Kiefernzapfen im Turnhemd,
als Munitionsvorrat. Damit beschossen wir die kranken Kinder - es war eine Waldschule
für Tbc-Kranke - und sie uns. Irgendwann warf Lenka einen Schotterstein. Von da
an waren auch wir unter Schotterbeschuss. Die Straße war asphaltiert worden, es
gab Schotterhaufen. Ein richtiger Krieg. Ich schoss irgendwem ein Loch in den
Kopf.
    Frage: Wissen
Sie, dass Sie einen Sohn haben?
    Antwort: Ja. Aber
ich weiß nichts über ihn. Hab ihn nie gesehen.
    Frage: Erzählen
Sie von der Mutter des Kindes.
    Antwort: Von Lika
habe ich hier geträumt, stellen Sie sich vor. Ich steh auf Wache, und auf
einmal kommt sie an. Ich rufe laut: Halt, oder ich schieße! - und dazu im
Flüsterton: Wo kommst du denn her? Sie kommt heran, küsst mich auf den Mund,
legt mir die Hände auf die Schultern. Ihre Finger kommen mir vor wie
Rangstreifen auf den Schulterstücken... So ein Quatsch. Damals bin ich am Seil
ins Fenster ihres Wohnheimzimmers geklettert. Lika hat Witze gemacht, von
wegen, es wäre ihr Zopf. Sie war Krankenschwester, machte ein Fernstudium.
Manchmal kann ich nachts nicht einschlafen, so stark ist auf einmal der Wunsch,
sie zu berühren, ihr Haar zu riechen. Und plötzlich sehe

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