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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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nun alles so
lange her, und trotzdem schrecke ich noch manchmal nachts hoch, weil mir so
ist, als hätte ich einen Gummizug gegen einen Bauch klatschen gehört. Ich
wache auf und frage in die Dunkelheit: Bist du es, Grauer?
    Frage: War's das,
oder kommt noch was?
    Antwort: Überall Schmierereien. Russenschweine, stand an den Ruinen.
    Frage: Haben Sie
Zivilisten getötet?
    Antwort: Zivilisten
sind die nur tagsüber auf dem Basar, nachts wird mit dem Granatwerfer Jagd auf
Verwundetentransporte gemacht. Einmal schnappten wir einen, der mit seiner
Bazooka auf Jungs aus unserer Kompanie geballert hatte. Den fesselten wir mit
Draht an seine Knarre, übergossen ihn mit Benzin und zündeten ihn an. Unsere
Jungs waren im Auto verbrannt, das sollte er nun auch haben. Erst hat er uns
wortlos hantieren lassen und so seine Verachtung gezeigt. Wie die Stichflamme
hochging, hat er losgebrüllt.
    Frage: Haben Sie
auf Kinder geschossen?
    Antwort: Wozu
müssen Sie das wissen?
    Frage: Um zu
vergeben. Jemand muss es erfahren, damit er es Ihnen nachsehen kann.
    Antwort: Wer seid
ihr denn hier, dass ihr meint, ihr könntet Vergebung gewähren?
    Frage: Ich bin
nur Protokollant. Frage und Antwort. Damit von Ihnen etwas bleibt. Von Ihnen
bleibt nur, was ich hier protokolliere.
    Antwort: Das lässt
sich sowieso nicht vergeben. Wie er da stand und sich den Rotz von der Nase
wischte - die Mantelärmel rotzsilbern bis zum Ellbogen rauf. Noch ein ganzer
Knirps. Wusste aber genau, dass wir Russen seinen Vater getötet hatten. Wenn er
ein bisschen größer ist, wird er ihn rächen. Uns vergibt so einer garantiert
nicht. Und sowieso bleibt ihm nur dieser Weg, wo sollte er sonst hin. Er hat
gar keine Wahl. Einen von der Sorte griffen wir auf, der hatte Dutzende
Patronen in der Tasche, die Kuppen der Geschosse abgefeilt, wenn die treffen,
wirken sie wie Dumdum-Patronen. Dieser Knirps mit den rotzsilbernen Ärmeln
wird niemals groß werden und meinen Sohn vor die Knarre kriegen.
    Frage: Weiter.
    Antwort: Mir kann
schon deshalb keiner vergeben, weil keiner es wagen wird, mich anzuklagen.
Klar?
    Frage: Wie ging
es weiter?
    Antwort: Hören Sie
auf, mich anzutreiben.
    Frage: Unsere
Zeit ist wirklich fast um. Versuchen Sie sich noch an etwas zu erinnern, das
Allerwichtigste nur.
    Antwort: Was soll
das sein?
    Frage: Das
spielende Kind auf der Straße, dem plötzlich der Kopf platzte - durch einen
russischen Scharfschützen. Oder das Bombardement von Schali. Ein dreijähriges
Mädchen spielte auf der Straße vor dem Haus, wo es wohnte, da kam ein Flugzeug
geflogen, und hinterher gab es kein Kind mehr - im buchstäblichen Sinne. Sie
haben anstelle des Kindes den kleinen Mantel begraben. Kind heißt auf
Tschetschenisch malik-du, das lässt sich übersetzen mit:
»Ein Engel ist da.«
    Antwort: Was soll
das? Sie müssen etwas verwechseln. Da war ich nicht dabei.
    Frage: Was spielt
das für eine Rolle? Erzählen Sie, wie Ihre Mutter nach Tschetschenien kam, um
Sie zu suchen.
    Antwort: Darüber
weiß ich nichts.
    Frage: Männer aus
dem Wehrkreiskommando waren bei ihr zur Haussuchung erschienen und hatten ein
Papier vorgewiesen mit der Aufforderung, sie solle ihren Sohn »freiwillig
zurückschicken«. Auf die Art erfuhr sie, dass sie einen UE zum Sohn hatte - so
heißt das: unerlaubte Entfernung von der Truppe. Lief wie vor den Kopf
geschlagen eure Gastellostraße lang und sagte sich: Lieber Gott, mach, dass er
lebt und gesund ist, und wenn das nicht mehr geht, weil er tot ist, dann mach,
dass sie ihn schnell getötet haben, ohne ihn zu quälen. Sie bat bei sich auf
Arbeit um Urlaub und einen Vorschuss, um auf die Suche nach ihrem Sohn gehen zu
können, die Antwort war: Da müssten Sie sich erst mal eine Bescheinigung von
der Einheit besorgen, dass Ihr Sohn vermisst wird. Sie packte ihre Sachen und
reiste quer durchs ganze Land nach Wladikawkas, von wo sie sich zum Stab der
Einheit durchfragte. Dort hieß es nur: Finden Sie ihn und schaffen Sie ihn her.
Ein paarmal fuhr sie zur Identifizierung: verkohlte Leichen, in riesigen
Kühlkammern aufbewahrt, einer sah aus wie der andere. Der Major, der sie
begleitete, sagte Mutter zu ihr und riet, einen von denen zu identifizieren.
Sie verstand nicht - und wie hätte man es ihr erklären sollen? Es gab dort noch
mehrere Frauen wie sie; sie wohnten zusammen und suchten ihre Söhne. Schworen
sich, Tschetschenien nicht eher zu verlassen, bis sie ihre Kinder gefunden
hatten, tot oder lebendig. Abends saßen sie beieinander und

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