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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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gehört, dass ich hier bin, und ist gekommen, sitzt da unten
irgendwo in der letzten Reihe, schaut mir zu, freut sich und klatscht
Beifall... Prompt heulte ich los, und alle dachten, es wäre vor Glück. Und das
stimmte sogar. Ich kann es nicht erklären.
    Nach der
Vorstellung kam L. hinter die Bühne. Kostrow stellte uns alle vor. Soja
Subbotina machte einen Knicks und setzte sich dabei aufs Klavier. Alle
schütteten sich aus vor Lachen! L. drückte mir die Hand, raunte mir etwas ins
Ohr. Aber ich, noch nicht abgeschminkt, wie benommen, verstand ihn nicht und
traute mich nicht zurückzufragen.
    L. blieb
noch und aß mit uns zu Abend. Alle waren begeistert von ihm. Er erzählte die
lustige Geschichte, wie seine Karriere an der Ballettschule begann - mit einem
Auftritt als Löwenhinterteil in Die Tochter des Pharao. Er steht
sichtlich gern im Mittelpunkt und weiß sich in Szene zu setzen. Zwischendurch
rief er Kostrows Neffen, den kleinen Petja, zu sich und zauberte ihm gleich einmal
ein Zehnkopekenstück aus dem einen Ohr und ein Bonbon aus dem anderen. Die
Menschen um sich heiter zu stimmen fällt ihm so unendlich leicht, es ist eine
Freude, ihm dabei zuzusehen. Kostrow erhob das Glas auf L. und dieser auf uns.
»Ihr seid das russische Theater von morgen!«, sagte er - und schaute den ganzen
Abend immer wieder zu mir herüber! Oder wahrscheinlich kam mir das nur so vor.
Er sieht ganz anders aus als auf seinen Autogrammkarten. Viel älter. Doch ist
er in Wirklichkeit noch schöner. Groß und stattlich. Läuft herum mit einem
spanischen Rohrstock, der Knauf angeblich aus einer menschlichen Fibula - der
von Yorick, scherzte L.
    Und nun
raubt mir die Frage den Schlaf: Was mag er mir ins Ohr geraunt haben? Wenn er
nun gesagt hat, ich wäre talentiert und hätte vorzüglich gespielt?
    Aljoscha!
Ich habe heute nur für dich gespielt!
     
    16.
Februar 1916. Dienstag
    Heute ist
Leonid Michailowitsch für die Verwundeten in unserem Lazarett aufgetreten. Er
sah mich und kam, nachdem er sich von allen verabschiedet hatte, zu mir, so als
wären wir alte Bekannte. Er habe noch zwei Stunden Zeit bis zur Vorstellung und
würde gern ein bisschen spazieren gehen, Luft schnappen, sagte er. Ob ich etwas
dagegen hätte, ihm Gesellschaft zu leisten? Ob ich etwas dagegen hätte? Mein
Gott! Wie könnte ich! Wir fuhren zum Stadtgarten, wo noch dicker Schnee lag,
nur ein paar Wege waren gesäubert, andere hatten eine Trampelspur.
    Er
erzählte mir, wie er für Stanislawski in Hauptmanns Hannele auf die
Idee mit den Flügeln gekommen war - die berühmte Szene, wo der Todesengel
erscheint und seine Flügel ausbreitet, die dann die ganze Bühne ausfüllen.
    Dann
erzählte er von seinem Besuch beim kranken Tschechow. Neben dem Bett hatte eine
Vielzahl gefalteter Papierhütchen gelegen. Tschechow spuckte hinein und warf
sie in einen Korb.
    Ich ging
neben ihm her und hörte zu, währenddessen hämmerte in meinem Kopf der Gedanke:
Träume ich? Herr im Himmel, wer spaziert da mit mir durch den Rostower
Stadtgarten?... Er ist einerseits ganz unkompliziert, andererseits irgendwie
nicht von dieser Welt.
    Dann
bekannte er auf einmal, dass er zwar viele Menschen um sich habe, aber einen
treuen Freund zu finden sei ganz unmöglich. »Eheleute leben ein Hundeleben und
sterben am Ende fürstlich, bei einem Junggesellen ist es gerade umgekehrt«,
sagte er.
    Zum
Abschied küsste er mir die Hand. Welch ein Duft, als er seine Handschuhe
auszog! Bloß gut, dass ich welche trug, sodass er meine beknabberten Fingernägel
nicht sah. Jedes Mal schwöre ich mir, nicht mehr an den Nagelhäuten
herumzubeißen, und dann passiert es doch wieder, und ich knabbere mich von
Finger zu Finger!
    Leonid
Michailowitsch hat mich zu den verbleibenden Vorstellungen eingeladen. In einer
Woche reist er nach Moskau zurück.
    Er ist ein
netter, guter Mensch. Und so unglücklich. Sehr einsam. Das habe ich gespürt.
     
    17.
Februar 1916. Mittwoch
    Ich
erkannte ihn nicht gleich, als er die Bühne betrat. Welch eine Verwandlung! Das
war nicht er, das war Brand! Und das will gekonnt sein: die Gefühlstiefe eines
Menschen wiederzugeben, der bereit ist, sein persönliches Glück zu opfern, den
einzigen Sohn und die heiß geliebte Frau! Und nicht etwa dem Vaterland auf dem
Feld der Ehre, nein, etwas unvergleichlich Höherem! Wie genial er das Ende
spielte: einsam und verlassen, verfemt, doch unbezwungen! Gibt es tatsächlich
so etwas, um dessentwillen sich alles opfern lässt, selbst die

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