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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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Liebe?
    Nach der
Vorstellung wartete ich auf ihn am Ausgang. Inmitten einer Menschenmenge! Er
sah mich gleich und winkte, ich drängte mich zu ihm, und er lud mich zum
Abendessen mit den Schauspielern ein. Wir gingen ins Belvoir in der Sadowaja,
wo ein großes Hinterzimmer reserviert war. Ach, war das schön, war das lustig!
Gogolew und die Warinskaja kasperten herum und ließen niemanden sonst zu Wort
kommen. Leonid Michailowitsch schien sehr müde und war einsilbig. Gogolew
sprach über die Erweckung von Toten! Ob das alles wahr ist oder spaßeshalber
ausgedacht, weiß ich nicht. Früher einmal habe man Tote vermittels Galvanismus
zu erwecken versucht. Ein Franzose namens Bichat experimentierte während der
Französischen Revolution mit den Leichen Guillotinierter und schrieb eine
gelehrte Abhandlung darüber, dass es mithilfe der Galvanik gelungen sei, an den
enthaupteten Körpern Muskelbewegungen zu erzeugen. Galvani selbst, der
Entdecker des Galvanismus, unternahm an den anatomischen Theatern von London
und Oxford Schauversuche, bei denen er einen Leichnam so elektrisierte, dass
dieser die Augen aufschlug und die Zunge bewegte. Kurzum: die rechten
Gesprächsthemen zur Nacht! Das sei doch alles Kinderkram, behauptete ein
anderer, inzwischen sei die moderne Medizin viel, viel weiter, schon in
allernächster Zeit werde sie das menschliche Leben praktisch ins Unendliche
verlängern können. Die Aussicht ließ die Warinskaja erschaudern: »Greisin auf
Ewigkeit, das wäre mir was!« Großes Gelächter. Nur Leonid Michailowitsch saß
schweigend auf dem Diwan, ich setzte mich zu ihm und fragte, was er darüber
denke. »Ich denke darüber, dass Skrjabin an einem Furunkel gestorben ist, für
die Blutvergiftung durfte er sich beim Barbier bedanken, er hatte noch viel vor
und ist nicht dazu gekommen.« - »Soll das heißen, man geht besser nicht mehr
zum Friseur?« - »Nein, das soll heißen, man sollte sich beeilen mit dem, was
man vorhat.«
    Was ist
es, was ich vorhabe? Ich möchte auf der Bühne stehen. Und ich möchte lieben.
    Mama
gefällt es nicht, dass ich jeden Tag so spät nach Hause komme. »Morgens kriegt
man dich nicht aus den Federn!«, brummt sie. Dabei geht es ihr gar nicht um die
Schule. Ihr behagt es nur nicht, dass ich mit Schauspielern befreundet bin.
     
    18.
Februar 1916. Donnerstag
    Heute
Nachmittag war ich wieder mit Leonid Michailowitsch spazieren. Man kann sich mit
ihm so interessant unterhalten. Er ist sehr klug und belesen! Was er alles
weiß!
    Interessant,
was er über die Zeit sagte und über die Kunst. Die Zeit sei eine Art
Vernichtungsapparat. »Eine Tischguillotine, wenn Sie so wollen. Wie eine
Brotschneidemaschine. Jeder Sekunde wird der Kopf abgeschnitten. Sowie sie
auftaucht - schnipp! Der Künstler muss dem, der die Kurbel dreht, in den Arm
fallen.«
    Tod und
Unsterblichkeit, das war heute sein Thema. Er lese viel alte Literatur, die
Griechen vor allem, sagte er. Im Moment gerade Xenophon. Ich sagte, dass ich
ihn zu lesen versucht, mich aber schrecklich gelangweilt habe dabei: diese
endlosen Märsche, in Parasangen gemessen, und immer schlagen sie sich
gegenseitig die Köpfe ein. Was er denn daran so interessant finde, fragte ich
ihn. »Sie haben recht. Die Leute sind uninteressant. Söldner, die in ein
fremdes Land eingefallen sind, um zu töten und den einen Tyrannen durch einen
anderen zu ersetzen, und den Rest des Buches ziehen sie zum Meer, um wieder
nach Hause zu segeln. Daran ist nichts Schönes und nichts Edles. Aber auf sie
kommt es auch nicht an. Die sind nicht besser und nicht schlechter als unsere
heutigen Soldaten, die auch gerade wieder auf irgendwen anlegen, jetzt in
diesem Moment.« - »Wenn es nicht auf sie ankommt, auf wen dann?« - »Den Autor,
Xenophon. Bedenken Sie doch, wie viele Leute sind uns einfach durchgeflutscht«
- so sagte er: durchgeflutscht - ein unangenehmer Ausdruck! -, »aber diese
Griechen sind uns geblieben. Weil er sie verewigt hat. Und so fallen sie
einander nun schon seit über zweitausend Jahren beim Anblick des Meeres in die
Arme und brüllen ihr: Thalatta! Thalatta! Weil es eben ein sehr besonderes Meer
ist, zu dem er sie hingeführt hat. Thalatta ist das Meer der Unsterblichkeit.«
    Wenn Griechen
hinter Griechen kriechen, kriechen Griechen Griechen nach... Ein ganzes Meer
von Unsterblichkeit, wozu soll das gut sein?
    Dann kamen
wir auf das alte Ägypten zu sprechen. Er erklärte mir, warum der Mistkäfer dort
als heiliges Geschöpf galt. Den

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