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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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wären sie eine Familie. Er hat zwei Kinder aus
erster Ehe. Die Tochter steht auch schon auf der Bühne, der jüngere Sohn ist
blind von Geburt an. Wie furchtbar! Gern hätte ich mein Mitgefühl ausgedrückt,
stattdessen fiel mir nichts Klügeres ein, als zu fragen: »Und da lässt sich gar
nichts machen?« Er lächelte bitter und sagte: »Entschuldigen Sie, darüber lohnt
es nicht zu sprechen. Reden wir lieber von Ihnen!«
    Er sagte,
ich hätte eine erstaunliche Stimme und ein Riesentalent. Bat, etwas
vorzusingen. Wie von ungefähr war plötzlich eine Gitarre zur Hand. Er kann
wunderbar spielen! Ich sang ein paar meiner Lieblingsromanzen. Er machte mir
allerlei Komplimente - bestimmt nicht aus Höflichkeit, es hat ihm richtig
gefallen, da bin ich mir sicher! Außerdem sagte er noch, wie ich einmal lieben
würde, hänge einzig von mir ab: So wie Shakespeare von Tausenden Schauspielern
gespielt wird, und sie allein entscheiden darüber, was Shakespeare einem gibt -
genauso kann einem die Liebe alles geben oder nichts außer Abscheu, und zum
Lieben gehöre ein besonderes Talent, eine Liebesbegabung. Wie wahr! Ich habe
das genauso empfunden, hätte es nur nicht so auszudrücken vermocht.
    Vermutlich
hatte ich einen Schwips. Ich fühlte mich so pudelwohl! Aus dem Saal drang eine
zauberhafte Musik herüber! Und plötzlich war alle Furcht wie weggeblasen. Nur
die Nagelhäute meiner Finger brannten, als ich sie nach den Garnelen ins Zitronenwasser
tunkte, aber geniert habe ich mich gar nicht mehr. Sie brennen immer noch! Ich
hätte mir gewünscht, er hätte meine Hände ergriffen und geküsst, aber das
traute er sich wohl nicht mehr nach der ersten groben Abfuhr. Oder war es der
Garnelen wegen?
    Als Leonid
Michailowitsch austreten ging, bekam ich Lust auf noch mehr Champagner und
wollte einen heimlichen Schluck direkt aus der Flasche nehmen - aber die war
schon ganz leer, roch nur noch sauer. Es war mir nicht aufgefallen, dass wir
eine ganze Flasche leer getrunken hatten. Ich ja nur ein Glas. Oder zwei? Er
kam wieder und bot an, mich nach Hause zu fahren, doch ich lehnte ab, gab vor,
noch ein bisschen laufen zu wollen. Er kam mit bis vor die Tür. Morgen früh
geht sein Zug. Der Abschied war konfus. Worte können so dumm sein! Er wünschte
mir Glück und Erfolg. Ich hätte ihm so gern zum Abschied einen Kuss gegeben und
brachte es nicht über mich. Er drehte sich um und ging. Es hatte zu regnen
angefangen, und er ohne Schirm.
    Kaum war
ich zur Tür herein, fiel Mama über mich her. Ich habe mich eingeschlossen und
gleich alles aufgeschrieben.
    Himmel,
was für ein anständiger, lieber und netter Mensch! Wie empfindsam und
feinfühlig! Und wie unglücklich!
     
    21.
Februar 1916
    Eben kam
ein Billett von L. Er habe den Zug fahren lassen - meinetwegen. Bittet um ein
Treffen. Ich antwortete: Nein. Nur dieses
eine Wort.
     
    1. März
1916
    Eine Woche
ist vergangen, und ich fühle mich immer noch schmutzig. Ja, ich bin ein mieses,
dreckiges Subjekt. Mir selbst zuwider. Mein Entschluss ist: Ich muss das hier
darlegen, alles, wie es war - in allen Einzelheiten, seien sie noch so ekelhaft
und demütigend. Und sollten Scham und Demütigung hierdurch noch größer werden -
ich habe es nicht anders verdient!
    Geschrieben
hatte ich: »Nein« - und bin hingerannt. Wie ein geölter Blitz, um meinem Rückbillett
zuvorzukommen. Er war in seinem Hotelzimmer. Schwieg, ich sagte auch nichts. Im
Kopf nur der eine Gedanke: Was tue ich hier? Was tue ich hier? Keine Umarmung
von ihm, kein Kuss, keine Berührung. Er ging zum Fenster. »Ich werde dir jetzt
ein paar bedeutende Verse vortragen. Auf die Knie!« In meinen Schläfern
hämmerte es: Ja wie denn, ich soll vor ihm auf die Knie fallen? Aber sein Blick
war so, dass mir jeder Eigenwille abhandenkam. »Auf die Knie!« Meine Beine
knickten von ganz alleine ein. Er trug vor wie ein Gott. Ich weiß nicht, wie
lange es ging: zwei Minuten? Zwei Stunden? Zwei Jahre? Dann hob er mich auf,
führte mich zum Tisch. Der schon gedeckt war, das hatte ich überhaupt nicht
bemerkt. Ich konnte nichts essen. Er auch nicht. Er fragte, ob ich mein Kommen
bereute. »Nein.« Und da stand er vom Tisch auf - und ging vor mir auf die
Knie... Nein, weiterschreiben kann ich nicht.
    Ich bin
ein mieses, dreckiges Luder.
    An dem
Abend kam ich sehr spät nach Hause. Schlich mich in die Küche und goss mir einen
Wodka ein. Trank zum ersten Mal im Leben Wodka. Schaufelte zwei Löffel Zucker
hinein und kippte ihn hinunter. In

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